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Joachim Lottmann:
Die Jugend von heute, € 9,20/320 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.

Foto: Archiv
Eines ist nach dieser Lektüre klar. Der Mann hat ordentlich einen an der Klatsche. Joachim Lottmann ist die böse alte Mutter der deutschen Popliteratur. Er gibt sich selbst gern als hübscher Mann aus und meint damit Franz-Josef Strauß in dessen besten Jahren. Weil er für herzhaftes Essen dann doch mehr Geld ausgibt als Benjamin von Stuckrad-Barre für Feuchtigkeitscremes. Und er inszeniert sich auch jetzt ein weiteres Mal als "deutscher Rainald Goetz". Der war gut! Das liegt zum einen daran, dass Rainald Goetz als flotter Rentner noch immer jugendliche Tanzveranstaltungen besucht, ernsthaft Drogen wirft und darüber ebenso kluge wie völlig ironiefreie Romane schreibt. Zum anderen unternimmt das hier auch Joachim Lottmann. Nur dass er weder raven geht, noch Drogen schluckt. Was uns im weiteren Verlauf dieser Besprechung nicht weiter kümmern muss.

Wenn hier jemand stocknüchtern aus der tiefsten deutschen Provinz namens Köln heraus wahlweise einem kleinbürgerlichen Glück oder auch nur einer faulen biografischen Notwendigkeit geschuldet Romane schreibt, die um das große, süße Nichts der Jugend kreisen, um Kirtag und Narkose in den heißesten Nightclubs der Städte München, Berlin und auch Wien, dann ist grundsätzlich Feuer am Dach. Und das Unterzündeln von gelassen erzählten Wahrheiten mit ungleich leichter brennbaren Verdrehungen derselben gilt auch als das so genannte Prinzip Lottmann. Im Sinne eines Ausspruchs des US-Regisseurs John Ford gilt: "Wenn das Faktum zur Legende wird, nimm' die Legende!"

Man kann sich von dieser Arbeitsmethode abseits seiner nun vorliegenden drei Romane Mai, Juni, Juli und Deutsche Einheit und Die Jugend von heute auch jederzeit querlesend durch das deutsche Feuilleton davon überzeugen, wie Lottmann auf Abfrage prinzipiell nassforsch auf Pop und modern gedeichselte Artikel über das Klagenfurter Wettlesen im Zeichen der Autorin "Liselotte Bachmann" oder Vernichtungen seiner Alterskollegen Einstürzende Neubauten schreibt. Er vermischt Banalitäten mit eiliger Lektüre von Nietzsche. Er verdrischt junge, zugedröhnte Menschen wegen ihrer Blödheit, nicht mehr ordentlich miteinander "bohnern" zu wollen. Und er kratzt die Kurve zu Beleidigungen der Alt-68er und speziell Rainer Langhans, in dessen Münchner Harem Lottmann dann doch wieder tatsächlich biografisch ein- und ausging. Im Zweifelsfall allerdings wird immer Wahrheit mit Absicht und Ambition mit Realität abgemurkst.

Noch ältere Männer als Lottmann selbst sind in ihrer Rezensententätigkeit für die Süddeutsche Zeitung oder die F.A.Z. davon ausnahmslos begeistert. Immerhin muss man nicht selbst endlos blöde in mit Stumpf-Techno oder HipHop akustisch zugemüllten Hütten abhängen, um einer über stellvertretende Feldforschung beobachteten Jugend "authentisch" über die Schulter zuzusehen, in welche Körperöffnungen denn nun aktuell die chemischen Substanzen reinkommen, die einen dünn machen.

Das soll jetzt nicht ganz gegen den im Roman sich selbst als "Onkel Jolo" stilisierenden Autor sprechen. Mitunter gelingen ihm auch durchaus furiose Alltagsbeobachtungen. Etwa wenn wenig verklausuliert STANDARD-Zeichner Tex Rubinowitz als Führer durch ein Wien auftaucht, das es möglicherweise erst für Menschen ab 70 gibt. Und trotz aller stilistisch erheblichen Formschwankungen, derer man hier über stolze 300 vollgeschriebene Seiten Zeuge wird, interessiert und packt es einen dann doch, wie Lottmann das völlig entbehrliche Nachtleben von sich und seinem Wahlneffen Elias beschreibt: "Dass es quälend werden kann, wenn Leute das Skurrile mit dem Leben verwechseln und einen mit Skurrilitäten zutexten, erfuhren wir erst jetzt so richtig." Das steht auf Seite 249. Für einen Abbruch der Lektüre ist es dann schon zu spät. Dieser Roman nervt wie die Hölle. Nie wieder jung! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Pflichtlektüre! Michel Houellebecq für Kinder ab der ersten Zigarette. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.11.2004)