Kippah und Kopftuch sind in Antwerpen nur ein paar Schritte getrennt. Direkt neben dem Viertel Borgerhout, wo marokkanische Teehäuser und andere Begegnungsstätten von den 30.000 Muslimen bevölkert werden, liegt das Diamantenviertel, in dem 20.000 Juden eine der größten jüdischen Gemeinschaften Europas bilden und orthodoxe Gläubige das Stadtbild dominieren.

Trotz der Nachbarschaft sind diese Viertel der mit 470.000 Einwohner zweitgrößten Stadt Belgiens meist wie verfeindete Welten. Am Freitag aber gab es da wie dort nur ein Gesprächsthema: den Mord am britischen Sekretär eines Rabbiners. Der 24-jährige Moshe N. wurde Donnerstag nach dem Verlassen einer Synagoge niedergeschossen und starb Stunden später im Spital.

Vlaams Blok schürt

Die Staatsanwaltschaft mag zwar beteuern, dass es keine Hinweise auf antisemitische Motive gebe - das glaubt aber in Antwerpen kaum jemand. "Das waren Rassisten oder Araber", sind sich Passanten im Diamantenviertel sicher. Zu explosiv ist das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden, zu oft sind die Spannungen eskaliert. Erst im Juni stachen arabische Jugendliche in einem Antwerpener Vorort vor einer jüdischen Schule einen 16-Jährigen nieder. Kurz darauf wurde ein Jude zusammengeschlagen.

Der Vlaams Blok, der sich seit seiner Verurteilung wegen Rassismus "Vlaams Belang" nennt, schürt die Konflikte. Antwerpen ist die Hochburg der radikalen Partei, 34 Prozent wählten sie dort im Juni. Den Erfolg bei den Regionalwahlen verdankt die Partei auch dem Duell der Populisten: Filip Dewinter vom Vlaams Blok und dem zugewanderten Libanesen Abou Jahjah, der seine "Arabisch-Europäische Liga" als Partei der Muslime positioniert. "Wir spielen beide nicht das politisch korrekte Spiel", sagt Jahjah gern - das ist eine krasse Untertreibung. Dewinter ließ etwa Kamele durch Antwerpen treiben, um vor "Überfremdung" zu warnen, Jahjah verdammt die Stadt als "Herz des Zionismus in Europa".

Dass Jahjah vor zwei Jahren für ein paar Tage festgenommen wurde, tat seiner Popularität kaum Abbruch. Damals, 2002, war es zu den tagelangen Ausschreitungen gekommen: Ein marokkanischer Lehrer war von einem geistig verwirrten Belgier erschossen worden - worauf Straßenschlachten durch Antwerpen tobten. Seit diesen Krawallen geriert sich der Vlaams Blok als Schutzmacht der Juden und will ein "Bündnis gegen muslimische Gemeinschaften" bilden. Jede Meldung über angebliche Terrordrahtzieher in Belgien spült Öl in dieses Feuer. Und in der Tat sind heuer im März mutmaßliche Mitglieder einer islamistische Zelle in Antwerpen verhaftet worden, die am Terroranschlag in Casablanca beteiligt gewesen sein sollen.

Mit Mord bedroht

Aber nicht nur Populisten wie Dewinter warnen vor radikalem Islamismus. Auch die sozialdemokratische Antwerpener Senatorin Mimount Bousakla, die aus Marokko stammt, kritisierte wiederholt fundamentalistische Einflüsse in belgischen Moscheen. Zuletzt prangerte sie die Dachorganisation der Muslime in Belgien an, weil sie den Mord an Theo van Gogh nicht öffentlich verurteilte. Die Folge waren - Morddrohungen. "Wir werden sie rituell abschlachten", drohte ein Mann.

Er wurde Freitag festgenommen. Der 38-jährige Belgier, der zum Islam konvertiert ist, habe Bousaklas Äußerungen als "Hetze" empfunden, sagte er in seinem Geständnis. Er war Mitglied der "Arabisch-Europäischen Liga".

Die Verantwortung für andere Morddrohungen übernahm er nicht. Denn Bousakla ist nicht die Einzige, die bedroht wurde: Auch die belgische Justizministerin Laurette Onkelinx und ihr Vorgänger Philippe Moreaux haben am Donnerstag Morddrohungen erhalten. Die Urheber sind unbekannt, die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit dem Mord an van Gogh. (DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.11.2004)