Nada Awar Jarrar erinnert sich an die Heimat Libanon
Redaktion
Eine Frau erinnert sich. Sie lebt allein in einem Steinhaus irgendwo in einem Bergdorf im Libanon. Sie ist schwanger und hat sich vor den Kämpfen in Beirut in ihr altes, verlassenes Elternhaus geflüchtet. So beginnt Nada Awar Jarrar ihren elegischen Roman über die verlorene Heimat, die Auswanderung, das Zurückkommen und das Leben auf fernen Kontinenten. Es sind Streiflichter, die Episoden im Leben mehrerer Generationen einer weit verzweigten Familie beleuchten.
Die Erzählende und ihre Familie gehören zur religiösen Minderheit der Drusen. Aber das erklärt nichts weiter, denn die Autorin belässt es bei minimalsten Andeutungen historisch-politischer Hintergründe. Wieso in Beirut gekämpft wird und warum Menschen auswandern, wird nicht fokussiert. Sie sind arm, sie suchen anderswo Arbeit, schreiben noch ein paar Briefe an ihre Frau und verschwinden spurlos. Sie lassen die kleinen Kinder mit einer unstillbaren Sehnsucht nach dem Vater zurück. Es sind die Frauen - Großmutter, Mutter und Tochter-, die die Bürde des Lebens tragen, die die Kinder aufziehen, mit Mangel und einer ungewissen Zukunft kämpfen.
Eine Frau aus der Familie wird nach Beirut auf einen Ausflug mitgenommen und ohne Vorbereitung auf das Schiff der Auswanderer verfrachtet. Eine andere erinnert sich in einem Altersheim in Australien an das Steinhaus der Vorfahren, aber ihr Sohn, der Arzt, versteht nicht mehr, wovon sie spricht. Jarrars Erzählton ist lyrisch und eindrücklich. Ihre leisen, verhaltenen Erinnerungen bleiben im Gedächtnis. Die Familien des Romans, die auf alle Kontinente aufgeteilt sind, wirken wie ein Spiegelbild: Die Autorin, 1958 in Beirut geboren, flüchtete 1975 und lebte in London, Washington, Paris und Sydney, bevor sie nach Beirut zurückkehrte. (DER STANDARD, Album, Print 20./21.11.2004)
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