Foto-Seitenscan: Hanser Verlag
Einen Computer hat er zwar in seinem Haus am Hudson nördlich von New York stehen, aber gerade für die Arbeit braucht er ihn nicht. Peter Sís zieht die traditionellen Werkzeuge seiner Kunst vor: Pinsel und Farbe, Tusche und Buntstifte.

Sís ist Illustrator und seit einiger Zeit auch Autor der Bücher, die er bebildert. Sie werden zwar unter "Kinderbücher" eingestuft, doch das wird ihnen nicht ganz gerecht; sie könnten ebenso gut unter Bildung oder Unterhaltung stehen. Oder unter Kunst.

Peter Sís, 1949 in Brünn geboren, arbeitete in der CSSR als Trickfilmer und war schon im Ausland bekannt, als er 1984 nach New York zog, sich auf Magazinillustrationen verlegte und bald Bücher gestaltete. Er wurde für seinen so pointillistisch verspielten wie detailfreudig genauen Stil berühmt (und zwei Dutzend Mal international ausgezeichnet), für Geschichten, die nicht linear gelesen werden wollen, sondern in deren Doppelseiten man sich verlieren kann. Es sind Tableaus voller Überraschungen und kleiner Besonderheiten, wie man sie am Bildschirm nie fertig bringt, eigenwillige persönliche Beiträge zu Themen wie Wale, Goethes Faust, die Reise seines Vaters nach Tibet (dies nur eine kleine Auswahl der auch auf Deutsch veröffentlichten Bände).

Und nun Charles Darwin. Der Baum des Lebens ist eine Hommage an den Forscher, für die sich Sís gründlich vorbereitet hat. Rund 60 Bücher, sagt er, hat er gelesen, und die Folge war, dass er nicht wusste, wie er das alles zwischen zwei Buchdeckel bekommen soll. Die Verdichtung aber hat dem Produkt gut getan. Es ist noch vielfältiger als seine früheren Bücher geworden, manchmal hat man das Gefühl, mehrere Ebenen übereinander gleichzeitig zu sehen - wie eine dichte Webpage, von einem Alten Meister geschaffen.

Der Baum des Lebens erzählt und bebildert das Leben von Darwin, seine Kindheit, seine Reisen, seine Forschungen und Funde (Darwins Hauptwerk, Die Entstehung der Arten, gerät zu einem aufklappbaren sechsseitigen Traum/ Flug des Forschers); auch seinen Verfall, sein metaphorisches Aufgehen schließlich in einer Sammlung von Totenkopfschmetterlingsarten.

Darwin hat immer bedauert, dass er nicht zeichnen konnte. Da, sagt Sís, wollte er ergänzen. Zudem verfolgt er mit seinen Büchern selbst eine Art evolutionären Ansatz: "Ich finde es wunderbar, dass ich nicht nur mich und meine Freunde unterhalte, sondern dabei helfe, die Gehirne der Kinder zu entwickeln." (Michael Freund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21. 11. 2004)