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Juschtschenko nach dem Verlassen des Wahllokals in Kiew.

Foto: AP/Medzyk
Kiew - Bei der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine zeichnet sich eine äußerst knappe Entscheidung ab. Nach Auszählung von 71 Prozent der Stimmen lag der amtierende Regierungschef Janukowitsch um 1,4 Prozentpunkte vor Oppositionsführer Juschtschenko. Auf Janukowitsch entfielen demnach 48,89 Prozent, auf Juschtschenko 47,46 Prozent der ausgezählten Stimmen.

Der liberale Oppositionsführer rief seine Anhänger für heute zu einer Demonstration in Kiew zusammen. Er warf den Auszählern Fälschungen vor. Die Staatsmacht habe im Wahlverlauf die drohende Gefahr einer Niederlage erkannt und "damit begonnen, massenhaft zusätzliche Stimmzettel einzuwerfen", sagte Juschtschenko. Nur so sei die "märchenhafte Wahlbeteiligung" in den ostukrainischen Gebieten Donezk (96 Prozent) und Lugansk (91 Prozent) zu erklären.

Alle Wählerbefragungen nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend hatten Juschtschenko in Führung gesehen. Bei der Auszählung in der Nacht schrumpfte der zunächst mitgeteilte Vorsprung für Ministerpräsident Janukowitsch immer weiter.

Die Stichwahl war von zahlreichen Fälschungsvorwürfen überschattet worden. Beide Lager beklagten, die andere Seite habe mehrfache Stimmabgaben einzelner Wähler ermöglicht. Im Wahlkampf hatte sich der Staatsapparat eindeutig zu Gunsten von Janukowitsch eingemischt.

Beobachter kritisierten zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Im ersten Wahlgang vor drei Wochen hatten beide Kontrahenten knapp 40 Prozent der Stimmen erreicht. Oppositionskandidat Juschtschenko wurde schließlich überraschend mit einem halben Prozentpunkt Vorsprung zum Wahlsieger erklärt.

Beobachter

Zahlreiche internationale Beobachter überwachten die Wahllokale; nach ihren Erkenntnissen hatte die erste Runde nicht den europäischen Maßstäben für demokratische Abstimmungen entsprochen. Die Opposition hatte dem Regierungslager schon Wochen vor der Wahl vorgeworfen, sie wolle mit massiven Manipulationen den Sieg Janukowitschs sicherstellen. Juschtschenko machte geltend, die Regierung habe versucht, ihn zu vergiften. Seine Gegner wiederum brandmarkten ihn als Marionette der USA und warfen ihm Umsturzpläne vor.

Einem Interfax-Bericht zufolge wurde in einem Stimmlokal in der südlichen Hafenstadt Odessa über Nacht das Wählerverzeichnis verändert. In dem Stimmbezirk hatte in der ersten Runde Juschtschenko den Sieg davongetragen. In einem anderen Stimmlokal seien die Wählerlisten entwendet und ein Polizist geschlagen worden, meldete Interfax. Angreifer hätten mehrere Menschen in Juschtschenkos Büro in Luhansk verletzt.

Wahlurnen in Brand gesteckt

Ein Polizist starb an Kopfverletzungen, die ihm Medienberichten zufolge offenbar bei der Bewachung eines Wahllokals zugefügt wurden. Russischen Wahlbeobachtern zufolge gab es in der Westukraine am meisten Unregelmäßigkeiten. In der westlichen Region Wolhinje wurde nach Angaben der Wahlkommission ein Tresor mit Wahllisten und den Wahlzetteln gestohlen. In Lwiw und Ternopil, ebenfalls im Westen des Landes, wurden nach Angaben der Polizei acht Wahlurnen in Brand gesteckt. Nach Angaben des unabhängigen "Komitees der ukrainischen Wähler" wurden im Zentrum des Landes drei oppositionelle Wahlbeobachter und ein Journalist geschlagen.

Umstritten war vor allem die Möglichkeit, auch außerhalb des eigenen Wohnbezirks zu wählen. Die Opposition befürchtete, dass dies zur doppelten Stimmabgabe missbraucht werden könnte. Den Vorwürfen zufolge soll die Regierung ihre Anhänger in Bussen zu anderen Stimmlokalen befördert haben.

Mehr als 38 Millionen Wahlberechtigte

Rund 10.000 Anhänger von Viktor Juschtschenko versammelten sich am Abend in Kiew, um auf die Ergebnisse der Stichwahl zu warten. Jutschtschenkos Wahlkampfleiter Olexander Sintschenko rief den Teilnehmern der Kundgebung zu, sich von den Machthabern nicht täuschen zu lassen. Die Nachwahlbefragungen zeigten, dass Juschtschenko der "unleugbare Sieger" sei. Mit ersten Ergebnissen wurde gegen Mitternacht gerechnet. Mehr als 38 Millionen Menschen waren wahlberechtigt.

Juschtschenko will das Land bei einem Sieg stärker an die EU und die NATO heranführen. Der im Wahlkampf massiv vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstützte Janukowitsch dagegen will das Land noch enger an Moskau binden. Während Juschtschenko vor allem in den historisch europäisch geprägten Regionen der Westukraine seine Anhänger findet, stehen Janukowitschs Bastionen im russisch geprägten Osten des Landes. (APA/dpa/AP)