Die französische Polizei hat herausgefunden, wie die mörderischen Terroranschläge von Casablanca im Mai 2003 (45 Tote) und wahrscheinlich auch von Madrid im März dieses Jahres (191 Tote) finanziert worden sind. Und sie staunte selbst, auf welche Idee das Netz marokkanischer Islamisten verfallen war: Sie inszenierten unter anderem die Entführung eines Geldtransporteurs, der mit ihnen unter einer Decke steckte.Dieser Angestellte der Finanztransportfirma Brink's wurde nach französischen Zeitungsberichten vor drei Tagen in Paris verhaftet. Hassan Baouchi, wie er heißt, hatte im März dieses Jahres angegeben, er sei von drei Männern bei der Wartung eines Geldautomaten überfallen worden. Sie hätten ihm gedroht, Frau und Kind umzubringen, wenn er nicht mit ihnen kooperiere. Im Verlauf eines Morgens habe er ihnen sechs Automaten öffnen und den Inhalt übergeben müssen - insgesamt etwas mehr als eine Million Euro. "Islamistische Gruppe marokkanischer Kämpfer"

Brink's schöpfte rasch Verdacht und entließ Baouchi bald einmal wegen "beruflichen Fehlers". Ansonsten wurde er aber nicht behelligt, da der französische Geheimdienst - der Brink's bei der Anstellung von Finanztransporteuren auch berät - Baouchi offenbar überwachen wollte.

Bei dem 23-jährigen Franzosen marokkanischer Abstammung handelt es sich nämlich um den Bruder des bekannten Islamisten Mustapha Baouchi. Dieser gilt als französischer Filialchef der "Islamistischen Gruppe marokkanischer Kämpfer" (GICM), die hinter den Anschlägen von Casablanca stecken dürfte und den Attentätern von Madrid wichtige logistische Hilfe leistete. Mustapha Baouchi wurde im April dieses Jahres in Paris verhaftet. "Banlieue-Djihadisten"

Sein jüngerer Bruder Hassan wurde am Freitag seinerseits wegen "Terrorfinanzierung" angeklagt, nachdem er seine fingierte Entführung gestanden hatte. Unter seinen drei Helfershelfern waren ein "Djihadist" namens Nasser B., der auch für ein tschetschenisches Netz arbeitete, sowie der Antilese Fred G., der mit den Baouchis in der Pariser Vorortgemeinde Aulnay-sous-Bois aufgewachsen war.

Dass die französische Gegenspionage DST den jungen Baouchi benützte, um der Pariser Zelle der GICM auf die Schliche zu kommen, lässt sich annehmen, da sein Bruder Mustapha nur einen Monat nach dem fingierten Banküberfall festgenommen wurde; Fred G. sowie Nasser B. wurden vor einigen Wochen festgesetzt, letzterer mit 40.000 Euro bar in der Tasche.

Diese "Banlieue-Djihadisten", in ihrer Jugendzeit in Aulnay eine verschworene Jugendbande gebildet hatten, bestätigen die Befürchtungen der DST-Ermittler: In den französischen Großstädten existieren offenbar weiterhin "schlafende" Netze von Terror-Helfershelfern, die Islamisten in ganz Europa und vielleicht auch anderswo mit den nötigen Mitteln versorgen. Gemäß einem Pariser Terrorexperten arbeiten sie auch mit wirklichen Banküberfällen, Erpressung und dem Verkauf von Schmuggelware. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2004)