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Einsam und kein amerikanischer Held: Michael Wittenborn.

Foto: AP /Stephan Trierenberg
Wien – New York, Weihnachten 2002. Der Schatten des Attentats über der Stadt, mediales Aufrüsten für den nahen Irak-Krieg. Rezession. Entlassungen, Arbeitslosigkeit. Das hysterische Glitzern der Weihnachtsdekorationen als mechanischer Bote des Frohsinns.

In ihrem jüngsten Stück, God save America, reiht die serbische Autorin Biljana Srbljanovic Momentaufnahmen eines frostigen Advents, an dessen Ende kein rettender Gottessohn als Erlöser naht. Im Mittelpunkt der Handlung: Karl Rossmann, ein angepasster Nachkomme jenes verführten Prager Knaben, den Franz Kafka neunzig Jahre vorher, in seinem Romanfragement Amerika (Der Verschollene), über den Atlantik geschickt hatte.

Rossmanns Verlust eines hochbezahlten Jobs ist der Filter, der die Risse im mechanisch funktionierenden Räderwerk der Gesellschaft sichtbar macht: Begriffe wie Freundschaft, Nähe, Aufmerksamkeit halten der Ausnahmesituation nicht stand.

Wobei simple Kategorien wie Schuld oder Opfer die Autorin weniger interessieren als jene inneren Leerstellen, deren Abgrund der unvermittelte Stillstand offenbart. Haltlos und vereinzelt wie abgestorbenes Herbstlaub durch die New Yorker Straßenschlünde taumeln die Charaktere durch die Szenen. Und suchen Halt, den Werte, Religion, Freundschaft nicht länger vermitteln, in Zahlen. Vor der Null.

Bewusst zitiert Srbljanovic, eine profunde Kennerin des US-Dramas und der Dramaturgie Hollywoods, zur Gestaltung des amerikanischen Stoffs auch formal traditionell amerikanische Erzählweisen. Baut konsequent eine lineare, scheinbar simple Story, deren Szenen sie klassisch kammerspielartig im winzigen Appartment Rossmanns lokalisiert. Gestaltet Alltagscharaktere, starke Dialoge von eleganter Beiläufigkeit, geschickt rhythmisiert zwischen Komik und Tristesse.

In Belgrad uraufgeführt, wurde das Stück auch in Paris zum großen Erfolg. Nach Köln ist das Wiener Akademietheater nun die zweite deutschsprachige Bühne, die God save America zur Aufführung bringt, Frankfurt folgt in Kürze. Der Wiener Abend in der Regie Karin Baiers setzt genau auf diese Stärke der traditionellen Bauart des Stücks – und gewinnt: mit genauester Rhythmisierung der Sprache wie der Körper gewinnt der Abend einen großen Atem, zieht die Aufführung zunehmend in Bann.

Nicht zuletzt dank eines mit seltener Präzision und Detailfreude agierenden, Haupt- wie ausnahmslos alle Nebenrollen liebevollst ausgestaltenden Ensembles: Allen voran Michael Wittenborn als feingliedrig-hochnervöser Karl. Nicholas Ofczareks bisweilen selbstverliebte Körperkomik verlieh der ausufernden Genussgier des Freundes Daniel weichlich-sinnliche Labilität, Christiane von Poelnitz als undurchschaubares Moskauer Mannequin Irene ein weiterer Gewinn fürs Wiener Ensemble, Regina Fritsch: genaueste Zeichnung der ungeliebten Millionenerbin als Ehefrau. Kafkaesk Michael Masula als Doorman, zwingend Dirk Warmes Junky. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2004)