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"In den USA, wo keiner einen Pass hat, bedeutet die Kreditkarte Identität. Und wird sie gelöscht, verliert man seine Existenz." - Biljana Srbljanovic.

Foto: APA/Reiner Riedler
Mit der Autorin sprach Cornelia Niedermeier


Wien – Während der Nato-Bombardements auf Belgrad, als viele ihrer Freunde die Stadt verließen, blieb die serbische Autorin Biljana Srbljanovic in ihrer Stadt. Während dieser Zeit veröffentlichte sie Tag für Tag ihre Gedanken, Beobachtungen, Ängste in der italienischen Zeitung La Repubblica. Das Tagebuch, in Deutschland im Spiegel veröffentlicht, ermöglichte einen authentischen Einblick in die Existenz eines "anderen" Serbiens jenseits des medial dominierenden Bildes Milosevic-treuer Nationalisten.

In ihren Essays wie in ihren Dramen hält sie übermächtigen Medienbildern differenzierte Alltagsbeobachtungen entgegen, Miniaturen, in deren scheinbarer Banalität sich eine tiefere Wahrheit enthüllt. Am Sonntag hatte im Wiener Akademietheater ihr jüngstes Stück, God save America, Premiere.

STANDARD: Warum ein Stück über Amerika?

Srbljanovic: Von Belgrad aus betrachtet war Amerika immer das Symbol einer modernen Welt – und der Gleichberechtigung, tiefer Demokratie. Die amerikanische Revolution war noch vor der französischen. Dann kam ich im Oktober 2002, ein Jahr nach 9/11, nach New York, um zu unterrichten. In eine sehr bedrückende Atmosphäre.

STANDARD:Als Folge des Attentats...

Srbljanovic: Nicht nur. Aber auch. Ich sah, wie ein Mann in der U-Bahn verhaftet wurde. Ein Verrückter, der fortwährend schrie: "Amerika, das ist passiert, weil du nicht auf die Zeichen gehört hast. Ich lache über die Opfer des World Trade Center." Die U-Bahn hielt an, fuhr zehn Minuten nicht weiter, bis drei Polizisten kamen, den Mann verhafteten. Woraufhin der ganze Waggon in Applaus ausbrach. Mein Stück war der Versuch, genau jene Atmosphäre einzufangen, die ich dort erlebte. Ich schrieb in New York in den Tagen vor Weihnachten 2002, zu genau dem Zeitpunkt, an dem das Stück spielt.

STANDARD: Wobei die Ereignisse von 9/11 nur entfernt aufflackern. Spürbar wird vor allem die Isolation der Menschen. Ihr mechanischer Versuch, Halt zu finden in finanziellem Wohlstand.

Srbljanovic: In Amerika, wo niemand über einen Personalausweis verfügt, weist man sich nur mit dem Führerschein aus – oder mit der Kreditkarte. Die Kreditkarte bedeutet Identität. Man kann, anders als in Europa, Kreditkarten aber auch verleihen, keiner kontrolliert, ob die Unterschrift tatsächlich vom Karteninhaber kommt, solange die Karte nicht als gestohlen gemeldet wurde. Das heißt also, man kann seine Identität verändern, ausborgen oder vollkommen neu erfinden, eine festgeschriebene Identität existiert nirgendwo. Wird die Kreditkarte gesperrt, heißt das: du existierst offiziell nicht mehr. Deine Identität ist leer, gelöscht.

STANDARD: Welche Identität haben Sie in New York gewählt?

Srbljanovic: Ich habe nie gesagt, dass ich Autorin bin. Das sagt dort jeder, und die Menschen haben nur den Eindruck, du bist ein mittelloser Künstler, der einen Gefallen erwartet. Also habe ich gesagt, ich unterrichte Geschichte. Eine kleine Lüge, denn ich habe ja an der Uni Dramengeschichte gegeben. Aber Geschichte, das beeindruckt. Vermutlich wegen des Komplexes gegenüber den Europäern und ihrer reichen Vergangenheit.

STANDARD: Heute leben Sie in Paris...

Srbljanovic: ... wo Autoren sehr hoch angesehen sind. Aber gleichzeitig ist das viele Schreiben ein großes Geschäft. Und man verkauft sich. Bernard-Henri Lévy beispielsweise kommt auch uneingeladen zu Podiumsdiskussionen, bringt seine persönlichen Fotografen mit, sagt einige Worte, seine Fotografen fotografieren – und er hat sehr gute PR- Leute um sich, die versenden diese Bilder an die Medien – woraus der Eindruck seiner Omnipräsenz, seiner Aktivität entsteht. Er erschafft ein Bild von sich selbst als dem größten Philosophen der Gegenwart. Und in Amerika ist das Einzige, was noch peinlicher ist, als ein Autor zu sein, zu sagen, man ist Philosoph. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2004)