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Burgschauspieler Gert Voss gibt ab Samstag in der Regie von Andrea Breth einen Südstaatenpatriarchen im Wiener Burgtheater: "Ein korpulenter Mann, der in Wahrheit bloß inwendig verkommen ist."

Foto: APA/Roland Schlager
Im Gespräch mit Ronald Pohl erörtert Voss Amerikanisches.


STANDARD: "Die Katze auf dem heißen Blechdach" ist beim Wiederlesen ein frisches Stück: Die Selbstzerfleischung einer Südstaatenfamilie wirft unwillkürlich die Frage nach unserem Amerika-Bild auf.


Voss: Die meisten Leute zitieren bei Nennung des Stücks immer sofort den Hollywoodfilm. An den können sich immer alle erinnern. Nun habe ich ihn nach Lektüre des Stückes wiedergesehen. Ich fand das ja ein unglaublich hartes, scharfes Stück, ohne "Message" - es zeigt einfach ganz brutal, wie hart Menschen miteinander umgehen. Der Film aber spart alles aus, was hart ist. Er bringt eine Moral hinein, einen 60er-Jahre-Kitsch. Da taucht der todkranke Familienpatriarch "Big Daddy", den ich spiele, am Schluss sogar wieder auf.

STANDARD: Sie meinen: Das Stück wurde für puritanische Bedürfnisse zurechtgetrimmt?


Voss: Das hat mich wahnsinnig gewundert, dass der Tennessee Williams das mit seinem Stück hat machen lassen! Aber er hat sich ja schon vorher umbiegen lassen, für eine Kitschfassung von Elia Kazan.


STANDARD: In dem Stück äußert Ihre Figur, der krebskranke Baumwollpatriarch "Big Daddy": "Europa? Ein einziger Ausverkauf!" Heute behaupten wir ja, der US-Mentalität nicht mehr folgen zu können.


Voss: Ja, sicher bleibt man beim Probieren an einem solchen Satz hängen. Das ist fast die Vorwegnahme dessen, was Leute wie Herr Rumsfeld heute über Europa sagen.

STANDARD: Ein Satz wie der zitierte könnte also auch heutzutage im Oval Office fallen?


Voss: Mit Ausnahme großer Zentren wie New York oder San Francisco herrscht doch in der US-Provinz - ein riesiges Stück Land, in dem Österreich und Deutschland mehrmals bequem hineinpassen - eine kunstfeindliche Denkart, an der sich nichts geändert hat. Dazu kommt bei Leuten wie Bush eine Verquickung mit Religion. Darum kann so jemand auch so absahnen. In dem Stück lügen sich alle in die Tasche - und der Pfarrer, der auf dem Gut der Politts, also "Big Daddys", auftaucht, spielt die Spielchen mit.

STANDARD: Ein verfeinerter Theaterschauspieler wie Sie spielt einen Südstaatenpatriarchen, den man sich polternd-korpulent vorstellt?


Voss: Andrea Breth gab mir ganz einfach verschiedene Stücke zu lesen. Plötzlich kam sie mit der "Katze" und fragte: "Hast du Lust, den ,Big Daddy' zu spielen?" Rein im Klischee gedacht, also in traditionellen Stadttheaterkategorien, ist die Figur natürlich laut, ungehobelt, schmutzig. Nun habe ich bei George Tabori "Othello" gespielt: Da lag es auch eher auf der Hand, Ignaz Kirchner in der Titelrolle zu sehen und mich in der Rolle des Jago.

Was dann den Ausschlag gab, war diese Mischung aus Brutalität und Zerbrechlichkeit, die Sensibilisierung, die aus "Big Daddys" Krankheit entsteht. Man nimmt alles viel wichtiger als früher: Er nimmt sich vor, weil er sich einbildet, eine zweite Lebenschance erhalten zu haben, jetzt alles "richtiger" zu machen. Da dachte ich: Entscheidend ist doch der Motor, der in diesem Mann arbeitet - die Unberechenbarkeit, die Hilflosigkeit, mit der er sich seinem "verlorenen" Sohn annähert, seinem Kronprinzen - ein echtes Königsdrama, indem "Big Daddy" seine Würde an die Nächststehenden weitergeben will! Breth hat nicht eine einzige Figur nach Klischee besetzt.


STANDARD: Der alkoholsüchtige Sohn "Brick" ist eher ein Zauderer. Wir hatten gerade Präsidentschaftswahlen in den USA - und derjenige Kandidat, der eher als Zauderer verkauft wurde, hat die Wahl verloren. Der Wiedergewählte markiert Entscheidungsfreude. Ist Kerry "unamerikanisch" gewesen?


Voss: Er ist durchgefallen, weil er differenzierter war. Bush ist für mich eine merkwürdige Mischung aus Playboy und Cowboy. Ein sehr lustiger Mann, wie man auch in Dokumentationen sieht. Er gab früher in der Familie immer den Familienclown. Der Bruder war der Tüchtige - George W. hingegen der Versager, der Trinker. Dann kam die religiöse Erleuchtung. Das ist doch eine ganz andere Bigotterie, als sie in unseren Kreisen getrieben wird: Sie kommt ungeheuer lässig daher und ist mit Witz verbunden.

STANDARD: Bush wirkt sexy?


Voss: Bei uns ist ein bigotter Mensch ernst und "tartuffig". Bush macht das als lässiger Cowboy - "Hey, man - lasset uns beten", und dann lacht er gleich wieder. Im Grunde ist es kein Wunder, dass sich seine Familie von morgens bis abends Country-and-Western-Music anhört. Die generelle Haltung dieser Musik ist, was Bush junior und Bush senior vertreten. Man muss eigentlich immer nur den Leuten sagen, dass es das Schwarze und das Weiße gibt. Und gegen das Schwarze, Böse muss man kämpfen. Das Gute ist immer gut gewesen - und so soll es auch immer bleiben.

Darum kann er es sich leisten, auf seiner Farm auf die Frage, warum er nichts arbeite, zu antworten: "Wieso, ich hab' doch mein Faxgerät?" Und er weiß, dass Millionen von Amerikanern das toll finden. Er freut sich über die Gürteltiere im Garten - und er schickt seinen Hund los, damit der ein Gürteltier auffrisst. Er erfreut sich seines Colts. Dabei ist jede Form von Antiamerikanismus ungerecht. Wir reden nur über eine Momentaufnahme. Es gibt sicher viele, viele Amerikaner, die es ekelhaft finden, von einem solchen Mann weitere vier Jahre in der Welt vertreten zu werden. Nun hat er eine afroamerikanische Frau zur Außenministerin gemacht - sie eingetauscht gegen einen Afroamerikaner, der ihm zu differenziert war.

STANDARD: Noch der Großvater von Frau Condolezza Rice, der Baumwollpflücker war, könnte auf einer Plantage von "Big Daddy" gearbeitet haben.

Voss: Ja, und er ersetzt Powell durch eine Frau - eine knallharte Frau, die ihren Gönner in Härte und Unbedingtheit vertritt. Man muss sich wirklich fragen, warum sie das macht? Weil sie es aufgrund ihrer Biografie besonders "gut" machen muss! (DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2004)