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UNAIDS-Chef Peter Piot
Foto: reuters/Pierre Virot
DER STANDARD : Trotz aller Anstrengungen steigen die HIV-Infektionen weiter. Was läuft schief?

Piot: Wir erleben die Globalisierung der Aidsepidemie. Die Infektionsraten steigen nun in Asien und Osteuropa, die von Aids bisher kaum berührt wurden. In Ostafrika gehen sie erstmals zurück, vor allem in den Städten. Bedenken wir: Bis vor Kurzem war kaum Geld vorhanden. Als ich zu UNAIDS kam, gab es gerade 200 Millionen Dollar. Heuer sind es sechs Milliarden. Es wird etwas dauern, bis das alles Wirkung zeigt.

STANDARD: Was müssten diese "neuen Aidsländer" tun?

Piot: Als Erstes das Problem erkennen. In den Staaten der Exsowjetunion fehlt dieses Bewusstsein, und deshalb geschieht nicht viel. In Indien und China hat sich das zum Glück geändert. Dann muss tatsächlich Geld zur Verfügung stehen - und nicht nur aus dem Ausland. Wenn schöne Reden heilen könnten, hätten wir Aids längst besiegt. Drittens braucht man Programme vor Ort, die auf die Betroffenen zugeschnitten sind. In Osteuropa sind das vor allem Drogensüchtige.

STANDARD: Die meisten Aidsopfer sind Frauen. Um sie zu schützen, muss man doch an den Grundfesten traditioneller Gesellschaften rütteln.

Piot: Ja, die übliche Prävention - Abstinenz, Treue und Kondome - nützt vielen Frauen in der Dritten Welt nichts. Denn sie haben keine Kontrolle über ihre Sexualität. Wenn wir uns nicht um Frauenrechte kümmern, dann werden wir die Epidemie nie stoppen. Das macht alles noch komplizierter, bietet aber auch einen Anreiz, mehr gegen sexuelle Gewalt, für längeren Schulbesuch und für das weibliche Erbrecht zu tun. In vielen Ländern dürfen Frauen nichts erben. Stirbt ihr Mann an Aids, sind sie nicht nur selbst infiziert, sondern bettelarm.

STANDARD: Es läuft seit Jahren eine Debatte, ob Vorbeugung oder Therapie wichtiger ist.

Piot: Wir suchen den Mittelweg. Ohne Vorbeugung hätten wir bald so viele Aidskranke, dass sie gar nicht geheilt werden könnten. Aber wir brauchen Therapien, um ganze Volkswirtschaften zu retten. Etwa im südlichen Afrika, wo ein Drittel der Erwachsenen HIV-positiv ist. Und wir müssen den Menschen Hoffnung auf Hilfe bieten, damit sie sich überhaupt testen lassen.

STANDARD: Werden die Milliarden, die jetzt zur Verfügung stehen, sinnvoll eingesetzt?

Piot: Geld bringt Resultate. Wenn wir uns Länder mit einer positiven Bilanz wie in Brasilien anschauen, dann sehen wir, dass dort schon länger mehr Geld ausgegeben wird als anderswo. Aber es wird in Afrika schwieriger sein als in Lateinamerika.

STANDARD: Ihre größte Geldquelle ist die US-Regierung. Ist deren Abneigung gegen Familienplanung ein Problem?

Piot: In manchen US-Kreisen herrscht diese Meinung vor, aber die Regierung unterstützt alle unsere Programme. Die USA sind der weltgrößte Finanzier von Kondomen.

STANDARD: Und was sollte Europa beitragen?

Piot : Das Wichtigste wäre, mehr Vorbeugung zu Hause. In allen EU-Staaten steigen nämlich die Infektionszahlen. Zweitens sollte die EU stärker auf Osteuropa einwirken, denn die Ausbreitung von Aids dort ist eine Gefahr für uns alle. Und Europa muss sein Engagement in der Dritten Welt verstärken, über reine Gesundheitsfragen hinaus auch die gesellschaftspolitischen Aspekte betonen. Aids gehört zu den großen globalen Problemen unserer Zeit. Es kann von keinem Land allein gelöst werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2004)