Caspar Einem

Derzeit geht die Nachricht nicht von Österreich aus, sondern von den 14 Partnerstaaten Österreichs in der EU: die Nachricht von der etwas größeren Sensibilität gegenüber menschenverachtender Rhetorik, Rassismus und Minderheitenfeindlichkeit. 14 Jahre Haider-FPÖ sind offenbar genug, um abzustumpfen. Aber die Nachricht könnte/sollte von Österreich ausgehen - die Nachricht, dass wir gelernt haben aus unserer Geschichte.

Und da geht es nicht darum zu lernen, dass es zwischen 1938 und 1945 ein schwarzes Loch gegeben hat, das "nie mehr wieder" kommen soll, sondern darum zu lernen, dass Geschichte ein Prozess ist, der von Menschen gestaltet wird. Nichts passiert vollkommen überraschend und nichts endet, als ob es nie gewesen wäre. Die Tabuschranken, die Hemmungen des zivilisierten Menschen fallen nicht von heute auf morgen. Bis man alte Menschen mit Zahnbürsten den Gehsteig putzen lässt, bis man jüdischen Kindern in Geschäften nichts mehr verkauft, bis man so genannte Zigeunerkinder nicht mehr in die Schule gehen lässt, muss schon einiges an Emotionen gegen bestimmte Minderheiten aufgebaut worden sein, damit die Hemmschwellen sinken.

Bis zur industriellen Vernichtung von Hunderttausenden Menschen ist es dann immer noch ein weiter Weg. Aber er beginnt mit der Trennung in Menschen und Untermenschen - und das oft ganz unauffällig: Indem wir uns etwa daran gewöhnen, zu bestimmten fremden Menschen einfach "Du" zu sagen.

Plakate mit dem Ruf "Stopp der Überfremdung!" und "Stopp dem Asylmissbrauch!" kommen erst viel später. Aber die Sprache ändert sich Schritt für Schritt: Was zuerst Flüchtlinge oder Asylwerber sind, werden dann "Asylanten". Und das hat schon den Beigeschmack des Auf-unseren-Taschen-Liegens. Da wird dann schon Entrüstung geschürt. Und wenn dann Schwarzafrikaner als rassisch unterschiedlich, "nämlich gewaltbereiter" klassifiziert werden, dann darf man sie auch anders behandeln und ihnen auch zuvorkommen. Und von dort - dass man daran nichts findet - bis zu brennenden Unterkünften von Asylwerbern ist's dann nicht mehr sehr weit.

Wenn sich etwas einwenden lässt gegen Mauthausen als Stätte des Gedenkens, wenn sich etwas einwenden lässt gegen Mauthausen als Ort für ein Gedenkkonzert der Wiener Philharmoniker dann dies: Mauthausen kann aufgrund des unfasslichen Grauens über das, was da geschehen ist, auch unsere Sensibilität zuschütten, die Herzen imprägnieren gegenüber der Geschichte, die zu Mauthausen geführt hat. Mauthausen kann das Bewusstsein dafür, dass es Menschen wie wir heute waren, die diesen Weg ermöglicht haben und gegangen sind, verschütten. Und dann lernen wir nichts. Dann merken wir auch weiterhin nicht, was die Abschlusskundgebung der FPÖ auf dem Stephansplatz am 1. Oktober 1999 mit dem Weg nach Mauthausen zu tun hat.

Umso mehr müssen wir daher gegen die schrittweise Entfesselung der niederen Instinkte eine neue Sensibilität entwickeln. Dann wird es auch gelingen, am 7. Mai in Mauthausen ein Zeichen zu setzen, dass wir Österreicherinnen und Österreicher aus der Geschichte gelernt haben - auch und gerade mit einem Gedenkkonzert der Wiener Philharmoniker, die dabei selbst zu gedenken und zum Gedenken beizutragen haben.

Wofür Leon Zelman kämpft und sein Leben lang gekämpft hat, ist, dass dieses Signal endlich von Österreich, von Mauthausen ausgeht. Das würde Hoffnung am Beginn des neuen Jahrhunderts rechtfertigen.

Immerhin leben wir in einem Land, von dem einst das Grauen der Naziherrschaft auch seinen Ausgang genommen hat. Und immerhin haben heute in diesem Land 73 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht FPÖ gewählt . . .

Caspar Einem, ehemals Wissenschafts- und Verkehrsminister, ist SP-Abgeordneter zum Nationalrat.