Wien – Samstag in Wien, der sichersten Großstadt der Welt. Wem fad ist, der schaut beim Rudolfsplatz in der Innenstadt vorbei, dort malträtieren einander seit Monaten diverse Gruppen. Ecstasy, Koks, Haschisch, Alkohol inklusive. Am 20. November blieben nach einem "Raufhandel" (Polizeischreibe) zwei Rapidfans mit Messerstichen liegen. Eine größere Bande hatte die beiden gestellt. Die Klubzugehörigkeit war in diesem Moment rein zufällig, die Sehnsucht nach Gewalt grundsätzlich. Eines der Opfer glaubte in seinem Dusel und Schmerz, einen Austrianer erkannt zu haben. Oder einen, der angeblich des Öfteren mit Austrianern herumhängt. Der eine Verletzte ist Mitglied der "Alten Garde" Rapids und wieder aus dem Spital entlassen, der andere ist Polizist und erheblicher verletzt.

Rache

Jetzt kriecht die Angst in die Szene. "Denn die alte Garde wetzt die Messer, für die ist das so eine Art Vendetta", sagt Thomas Fellinger, der Fanbeauftragte der Wiener Austria. Irgendein Austriafan, mit Klubschal oder ohne, irgendwo unterwegs mit Familie oder Freunden oder auch solo, kann das Objekt der Rache werden.

Rudi Koblowski, der Fanverantwortliche der Rapid: "Eine neue Generation ist im Spiel, die den Ehrenkodex der Fanszene ignoriert." Peter Jedelsky, der Leiter der Wiener Fanpolizei, bestätigt die Fakten und verweist auf die laufenden Ermittlungen. Es werde auch gegen einen Austria- Fanclub ("Troops") ermittelt, dessen Beteiligung an der Rauferei in der Szene kolportiert wird, laut Jedelsky aber unwahrscheinlich sei: "Es schaut so aus, als habe die Sache nicht den Fußball zum Ursprung."

"Völlig schmerzfrei"

Fakt und Kern der Szenen- Erregung: Die brutale Entfremdung zwischen Austria- Anhängern und Rapid-Fans ist rund drei Jahre alt. Sogar im Magazin Öffentliche Sicherheit der Wiener Polizei wurde die Gewalteskalation beschrieben. Neue Ingredienz ist neben dem Führen und Einsetzen von Waffen (Messer, Fahrradketten) bei den rituellen "Boxkämpfen", dem Konsum von schweren Drogen wie Koks (Fellinger: "Die sind völlig schmerzfrei und kennen die eigenen Leute nicht mehr") auch das Attackieren von Wega-Leuten. Nach dem letzten Derby im Hanappi-Stadion müssen in der Hanakstraße für Minuten "kriegsähnliche" Zustände geherrscht haben, als der harte Rapid-Fankern auf die Demonstration seiner territorialen Besitzansprüche beharrte. Drei Beamte wurden erheblich verletzt.

Dämonisierte Austria

"Die Austria gilt zunehmend in der Szene als das Böse, als Symbol für den menschenverachtenden Kapitalismus", weist Koblowski auf die irrationale und kaum erklärbare Seite des Phänomens hin. Er arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Szene, war auch Fanbeauftragter der Bundesliga. Jedes Interview eines Funktionärs der Rapid oder eines anderen Klubs, in dem die Austria als Geldmaschine hingestellt werde, trage dazu bei, "dass die Menschen in ihrer Angst vor Arbeitslosigkeit und Verarmung die Austria als böse verstehen lernen". Fellinger weist darauf hin, dass die Gewaltspirale bei der Rapid begonnen habe und "nicht nur Junge beteiligt sind, denn die alte Garde hat angefangen".

Jedelsky räumt ein, dass die zunehmende Jugendarbeitslosigkeit einen Aggressionsschub verursache, "aber hauptsächlich treibt sie die Eigentumsdelikte in die Höhe, der Zusammenhang mit dem Fußball ist zu wenig untersucht". Dennoch sei Österreich noch relativ friedlich. Jedelsky: "In Polen ist Krieg." Bundesliga-Vorstand Georg Pangl fürchtet, dass die seligen Zeiten der Ruhe vorbei sein könnten: "Das kommt ursächlich nicht aus dem Fußball, aber wir müssen uns dem Problem stellen." (Johann Skocek – DER STANDARD PRINTAUSGABE 25.11. 2004)