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Julia Timoschenko verteilt bei einer Demonstration in Kiew Blumen an die Sicherheitskräfte

foto: reuters/pool
Die traditionelle ukrainische Flechtfrisur verleiht ihrer zierlichen, attraktiven Erscheinung beinahe das Flair einer Heiligen. Wer Julia Timoschenko nicht kennt, würde nicht glauben, was der Volksmund über sie sagt: dass sie "der einzige Mann in der ukrainischen Politik" sei. Das meint auch Olena Prytula, Chefredakteurin der Internetzeitung Ukrajinska Pravda, bei der der später ermordete Journalist Georgi Gongadse arbeitete. Allerdings lasse sich die Timoschenko zu sehr von Rachemotiven gegen Präsident Leonid Kutschma leiten.

Dienstagabend war sie es, die die Demonstranten aufrief, vor den Präsidentenpalast zu ziehen und diesen zu belagern, "bis sie aufgeben". Ein Sturz des Machtapparats um Kutschma und dessen Stabschef Viktor Medwetschuk wäre Timoschenko eine zutiefst persönliche Genugtuung: Rund ein Jahr lang war sie stellvertretende Ministerpräsidentin und Energieministerin unter Premier Viktor Juschtschenko, dem jetzigen Oppositionsführer, bis sie im Jänner 2001 von Kutschma unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung entlassen und danach mehrmals verhaftet wurde. Ähnlich erging es ihrem Mann, von dem sie sich schon zuvor getrennt hatte, und ihrem Schwiegervater.

Als Ministerin sollte Julia Timoschenko die weit verbreitete Korruption im Energiesektor bekämpfen. Und genau hier liegt ihre Achillessehne: Als Chefin des Energiekonzerns EESU (Vereinte Energiesysteme der Ukraine) von 1995 bis 1997 soll sie etwa drei Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas im Wert von mehr als 80 Millionen Dollar mit falschen Dokumenten am ukrainischen Zoll vorbei an eine britische Tochterfirma verkauft haben. Timoschenko bestreitet die Vorwürfe bis heute und spricht von einer Intrige mit dem Ziel, sie politisch fertig zu machen.

Ironischerweise stammt sie selbst aus jenem Dnjepropetrovsker Clan, dem Kutschma seine Macht verdankt. 1960 in eine Familie der damaligen Sowjet-Nomenklatura in der südöstlichen Industriemetropole geboren, schloss sie mit 24 das Wirtschaftsstudium mit Auszeichnung ab. Elf Jahre später war sie bereits Chefin von EESU und die vermutlich reichste Frau der Ukraine. Seither trägt sie den Spitznamen "Gasprinzessin".

Parallel dazu stieg sie in die Politik ein - um ihren wirtschaftlichen "Erfolg" abzusichern, wie Kritiker meinen. Seit 1996 ist Timoschenko Parlamentsabgeordnete, 1999 gründete sie die "Vaterlandspartei". Zu ihren politischen Managern zählt die in den USA ausgebildete Tochter.

Die gemeinsame Front mit Juschtschenko an der Spitze ist nicht alt. Noch vor zwei Jahren meinte Timoschenko in Kiew auf die Frage westlicher Journalisten, ob eine Frau Staatschef werden könne: "Warum nicht?" (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 25.11.2004)