Foto: derStandard.at/Fercher
Professor Emmerich Talos ist sichtlich überrascht, dass er bei dieser Serie ausgesucht wurde, weil er von den Studierenden "bewusst etwas fordert". Im Gespräch mit derStandard.at/Uni erzählt er, warum für ihn Diskussionen mit Studierenden wichtig sind, was ein Massenstudium wie Politikwissenschaft für Probleme mit sich bringt und was für ihn einen guten Vortrag ausmacht.

* * *

derStandard.at/Uni: Sie scheinen überrascht zu sein, dass Sie für eine Serie als Interviewpartner ausgesucht wurden, wo "studierendenfreundliche Lehrende" befragt werden?

Emmerich Tálos: Ja, denn der Begriff "studierendenfreundlich" kann ja durchaus sehr unterschiedlich interpretiert werden. Es freut mich aber, wenn eine bestimmte Ausprägung des Umgangs mit Studierenden Akzeptanz findet.

derStandard.at/Uni: Sie sind bekannt dafür, dass Sie von den Studierenden vor allem in Proseminaren und Seminaren sehr viel fordern. Haben Sie sich bewusst dafür entschieden, an die Studierende hohe Ansprüche zu stellen?

Tálos: Ja, das ist mir sehr wichtig, denn ich gehe davon aus, dass ein Studium eine wirklich außerordentliche Chance ist. Die Studierenden haben die großartige Möglichkeit, eingehend Kenntnisse und kritische Analysefähigkeit zu erwerben, Zusammenhänge begreifen zu lernen, sie haben die Chance, sowohl Empirie wie theoretisches Begreifen miteinander zu verknüpfen und über den Tellerrand – wie eben jenen der österreichischen Politik - hinaus zu schauen. Das sind aber Dinge, die erarbeitet werden müssen und von daher denke ich, dass bestimmte Anforderungen an die Mitarbeit, die Arbeitsleistung und die intellektuelle Kapazität der Studierenden zu stellen sind.

derStandard.at/Uni: Was ist für Sie wichtig beim Umgang mit Studierenden?

Tálos: Für mich sind drei Punkte wichtig:

Erstens: Weil das Studium eine ganz außerordentliche Qualifizierungschance bietet, möchte ich die Studierenden dazu motivieren und ermuntern, diese Chancen zu nutzen. Aber es ist nicht nur wichtig, dass ich mir den Kopf mit allen möglichen Kenntnissen anfülle, sondern dass mir das Studium auch die Möglichkeit bietet, diese Erkenntnisse durch schriftliche Arbeiten und Referate anderen zu vermitteln – womit aber auch bestimmte Anforderungen verknüpft ist.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist für mich immer gewesen, dass Anforderungen an Studierende keine Einbahn sind: Was für sie gilt, gilt gleichermaßen für Hochschullehrende. Folgende Dinge sind für sie unumgängliche Voraussetzungen: Engagement, die Verbindlichkeit ihres Tuns und die inhaltliche Kompetenz. Von daher können sie nicht nur Anforderungen an Studierende stellen, sondern auch an sich selbst – und sie müssen diese auch verbindlich einbringen.

Ein dritter Aspekt ist Betreuung: Ich gehe davon aus, dass wir bei Studierenden nur dann Lernprozesse anregen können, wenn wir sie in diesen Lernprozessen betreuen, bei Seminararbeiten ebenso wie bei Diplomarbeiten oder Dissertationen. Deshalb kann sich der Umgang mit Studierenden nie und nimmer auf das Vehikel der Notengebung beschränken, sondern Studierende brauchen unbedingt Response. Immer wieder wird beklagt, dass das im Studium fast nie vorkommt und ich halte das für einen Mangel.

Also: Studierende ermuntern, Anforderungen müssen in gleichem Maße für alle gelten und Betreuung ist wichtig.

derStandard.at/Uni: Sie verlangen in Ihren Proseminaren und Seminaren, dass die Studierenden die Arbeit noch während des Semesters abgeben. Warum sollte man aber trotzdem in ihre Proseminare und Seminare kommen?

Tálos: Alle Formen von Lehrveranstaltungen mit Übungscharakter leben ja davon, was Studierende selbst inhaltlich einbringen. Es wird an sie die Anforderung gestellt, dass sie ein gewähltes Thema bearbeiten und anderen vermitteln. Letzteres ist nur dann adäquat möglich, wenn sie ihre Arbeit bereits geschrieben haben. Eigentlich zäumt man das Pferd von hinten auf, wenn das Referat darin besteht, ein vorläufiges Thesenpapier zu präsentieren. Das ist das Vorläufigste eines Erkenntnisprozesses. Wenn ich irgendwo einen Vortrag halte, ist es genauso: Ich kann nicht mit irgendwelchen vorläufigen Ergebnissen aufwarten, sondern der Vortrag ist eigentlich das Endprodukt eines Lern- und Erkenntnisprozesses.

Deshalb habe ich das ganz radikal darauf umgestellt, dass ich fordere, dass die Studierenden für das jeweilige Plenum gut vorbereitet sind. Das besteht für mich darin, dass sie die Arbeit bereits gemacht haben. Mit dieser Variante habe ich eigentlich die besten Erfahrungen.

derStandard.at/Uni: Bei den Vorlesungen geben Sie Fragen und Diskussionen sehr viel Raum. Warum?

Tálos: In einer Vorlesung, meine ich, gibt es mehrere Anlässe für Fragen. Sagen wir mal so: Niemand ist perfekt. Nur weil manche Dinge für mich sehr geläufige Zusammenhänge sind, heißt das nicht, dass ich es immer so rüber kriege, dass es auch nachvollziehbar ist. Aber es gibt auch Leute, die sich rühren und sagen "Ich hab das so und so erlebt und ich sehe das so und so oder ich sehe das anders." Von daher gibt es immer eine bestimmte Dynamik in den Vorlesungen, was ich für gut halte.

Aber es sind nur beschränkte Möglichkeiten und das muss man auch sehen: Wir sind keine Zeitmacher, sondern haben eben jeweils nur die eineinhalb Stunden. Da kann es manches Mal schon passieren, dass ich bei dem Stoff, den ich mir so vorgenommen habe, nicht immer so schnell vorankomme. Auf der anderen Seite denke ich, dass es als Lernsituation ganz gut ist, in dieser Weise einfach nachfragen zu können.

derStandard.at/Uni: Ich habe oft Lob gehört über ihren Vortragsstil, zum Beispiel, dass Sie es schaffen komplexe Inhalte verständlich zu erklären. Welchen Tipp würden Sie angehenden Lehrenden für die Gestaltung einer Vorlesung mitgeben?

Tálos: Es gibt eine Anforderung, die ich an Vortragende wie auch an mich selber stelle: Die Struktur ist sehr wichtig, weil sie ein Zeichen dafür ist, wie wir Themen erfassen und begreifen. Sie muss einen klaren Aufbau haben, der Sachverhalt systematisch entfaltet und problemorientiert betrachtet werden. Wenn ich nicht klar mache, worüber ich sprechen werde und keine Struktur habe, wird es für die Studierenden sehr schwierig, die Vorlesung nachzuvollziehen.

derStandard.at/Uni: In letzter Zeit war viel von den Problemen des Instituts für Publizistik die Rede. Auch an der Politikwissenschaft gibt es überfüllte Hörsäle, sie selbst machen große Vorlesungen. Macht Ihnen das Lehren unter solchen Bedingungen noch Spaß?

Tálos: Eigentlich ist es für mich weniger bedauerlich als für die Studierenden, denn es macht mir selbst keinerlei Probleme, ob ich jetzt eine Vorlesungen vor 50 oder vor 500 Leuten mache. Das Problem bei so einer großen Anzahl von Studierenden aber ist, dass gerade der Prozess, dass bestimmte Fragen gestellt werden und dass man auch drauf antworten kann, schwierig ist: Je mehr Menschen in einer Vorlesung sind, desto weniger Möglichkeiten gibt es dazu. So große Ansammlungen von Studierenden machen viele stumm, weil sie eben noch nicht das Selbstbewusstsein haben, vor 500 Leuten zu sprechen oder Fragen zu stellen. Deswegen ist das für Lernprozesse keine günstige Situation.

Was mich stören würde und was ich als solches auch ganz dezidiert nicht mache, ist ein Seminar mit 100 Leuten. Ich nehme maximal 40 Leute, denn da weiß ich, dass ich sie gut betreuen kann, und dass die Leute auch miteinander ins Gespräch kommen können. Gerade in diesem Semester gibt es eine Veranstaltung, die sich mit Pensionssicherung beschäftigt. Ich habe eigentlich selten Veranstaltungen mit dermaßen lebendiger Beteiligung gesehen.

Ein Massenstudium schafft irrsinnige Probleme, wenn nicht ausreichend Veranstaltungen angeboten werden können. Ich denke aber, wie viel Studierende es auch immer geben mag, wir müssen für sie Bedingungen schaffen, dass sie auch entsprechend lernen können.

derStandard.at/Uni: Sie engagieren sich immer wieder in politischen Fragen. Wie können sie dieses politische Engagement von der wissenschaftlichen Tätigkeit trennen?

Tálos: Ich gehe davon aus, dass wir uns nicht irgendwie splitten können, sondern ich habe eine berufliche Funktion und qua dieser Funktion als Politikwissenschafter, der Politik als Untersuchungsgegenstand hat, stehe ich mit Sicherheit strukturell in kritischer Distanz zur Politik. Aber dass Politik mein Untersuchungsgegenstand ist, wird mich nie und nimmer daran hindern, dass ich ein politischer Mensch bin und polititische Positionen hab. Für mich endet meine Existenz eben nicht am Ausgang des Instituts, sondern Politik ist ein ganz wesentlicher Bestandteil meines Lebens.