Politiker sollten nicht karikaturempfindlich sein, wie Manfred Deix in „Der dicke Deix“ zeigt (bei Ueberreuter für 29,95 Euro).

Aus: Manfred Deix: "Der dicke Deix"
Nicht jeder Politiker hat eine so schlüssige Berufungsgeschichte zu erzählen wie Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder: Als Jungsozi habe er in Bonn am Tor des Bundeskanzleramts gerüttelt und ausgerufen "Ich will da rein!". So zumindest erzählte er es gerne, nachdem sein Wunsch in Erfüllung gegangen war. Ob es nun wahr ist oder nicht - politstrategisch gesehen ist es in jedem Fall eine gute Geschichte.

Denn die Vergangenheit eines Politikers spielt eine immer wichtigere Rolle, längst verwenden Medien mindestens ebenso viel Interesse auf die politische Sozialisation wie auf die inhaltlichen Vorstellungen einer Führungsfigur. Mehr noch: Biografie und Programm einer Person sollen im Medienzeitalter idealerweise zu einer unverkennbaren politischen Marke verschmelzen. Das Interesse am Persönlichen ist also groß, gleichzeitig geizen zeitgenössische Politiker mit Memoiren - konservative noch mehr als sozialdemokratische. Abgesehen vom austrofaschistischen Ständestaatskanzler Kurt Schuschnigg oder dem ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel gibt es keine konservativen Autobiografien, für die SPÖ griffen zuletzt immerhin Altbundeskanzler Franz Vranitzky, Bundespräsident Heinz Fischer und Bruno Kreisky zur Feder.

Aus diesem Grund hat der ehemalige profil-Herausgeber und Verleger Hubertus Czernin einen Sammelband mit dem Titel "Wie ich Politiker wurde" herausgegeben. Dafür bat er 29 Akteure aller Coleurs, ihre "Wann-ich-ans-Tor-gerüttelt-habe"-Geschichte zu erzählen - sofern es sie gibt. Denn, so Czernin in seinem Vorwort: "In der überwiegenden Mehrheit der Fälle" hat die Geschichte der Betroffenen "gar nichts mit jener berüchtigten Ochsentour zu tun, die bis in die frühen 80er-Jahre als selbstverständlicher Weg in die Politik galt."

Vor allem die jüngere Generation der Politiker, im Buch vor allem durch grüne Exponenten vertreten, rutsche mehr oder weniger rein in die Politik. Gesinnung und ein politisches Elternhaus sind dabei zwar meistens Katalysatoren, nicht unbedingt aber Voraussetzungen. Die wenigsten können mit einem Erweckungserlebnis aufwarten wie ÖVP-Generalsekretär Reinhold Lopatka, der den Beginn seiner politischen Karriere ansetzt, als er als Schüler gegen eine herrische Lateinlehrerin aufbegehrte und zum Klassensprecher gewählt wurde.

Und für kaum einen war der Weg in die Politik so klar familiär vorbestimmt wie für den SPÖ-Bundesrat Albert Konecny, der die Tradition seiner Partei schon als Kleinkind verinnerlichte. Oder, wie es SPÖ-Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ausdrückt: "Ich war ein Arbeiterkind." Nur zwei Worte vermeiden alle Autoren in ihren Aufsätzen geflissentlich: Macht und Eitelkeit.

Zufall oder nicht: Die steirische ÖVP spielt in gleich mehreren Entwicklungsberichten eine außerordentliche Rolle als eine Art Prototyp für eine Partei, die fähig ist, die unterschiedlichsten Personen anzuziehen. "Wer mochte da nicht mittun?", fragt die mittlerweile wieder ausgeschiedene Nationalrätin Cordula Frieser stellvertretend für viele.

Denn auch das zeigt Czernins neues Buch: Längst müssen sich Parteien um ihren Nachwuchs aktiv bemühen. In welchem Stall ein politisches Naturtalent letztendlich landet, kann sehr unterschiedlich sein.

Grünen-Chef Alexander Van der Bellen war etwa über ein Jahrzehnt eingetragenes SPÖ-Mitglied. Dann wurde er aus der Mitgliedskartei entfernt - "so weit mir bekannt wegen Nichtbezahlung von Beiträgen". (DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2004)