In Asien ist der Zukunftsmarkt der Tabakindustrie. Dort wird, ganz im Gegensatz zu USA und Europa, mehr gequalmt denn je. Von Peter Ahrens

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In den USA wird schon wieder vom Krieg geredet - "ein Krieg, den wir verlieren werden", wie ein Sprecher der American Lung Association sagt. Der Blick Amerikas richtet sich dabei zwar erneut nach Asien. Doch geht es diesmal nicht um den Irak oder um Afghanistan. Der Feind steht in China - der Hauptgegner im Krieg gegen das Rauchen. In China und den angrenzenden Ländern Südostasiens wird gequalmt wie sonst nirgendwo auf der Welt - mit Konsequenzen, die die Weltgesundheitsorganisation WHO als verheerend bezeichnet.

Neue Strategien

Während in den USA und in Westeuropa das Rauchen mehr und mehr eingeschränkt wird und die Zahlen der Raucher zurückgehen, tut sich in Asien ein regelrechtes Paradies für die Tabakindustrie auf. Noch wandern von den jährlich 660 Milliarden Zigaretten, die allein die US-Industrie jährlich produziert, über 400 Milliarden in den heimischen Markt. Doch wenn zum Beispiel auf dem Firmengelände des US-Unternehmens Motorola mittlerweile das Rauchen selbst im eigenen Auto untersagt ist und in einer Kleinstadt in Maryland fürs Rauchen auf offener Straße 100 Dollar Strafe stehen, sieht sich die Branche nach für sie offeneren Märkten um. Die Manager von Philip Morris, RJ Reynolds oder British American Tobacco sind längst dabei, ihre Strategien umzuleiten.

Zehn Prozent der Gesamtausgaben fürs Rauchen

China, ohnehin schon jetzt der weltweit größte Tabakproduzent vor den USA, Indien und Brasilien, ist der Markt der Zukunft. Der Zigarettenkonsum der Chinesen hat sich laut WHO von 1965 bis 1995 vervierfacht. Ein Viertel der weltweiten Zigarettenproduktion wird heute im Reich der Mitte konsumiert. In ländlichen Gegenden Südwestchinas geben Haushalte mehr als zehn Prozent ihrer Gesamtausgaben nur fürs Rauchen aus.

Die Ärmsten greifen am schnellsten zur Zigarette

Dabei macht es nichts, dass China trotz des gewaltigen ökonomischen Aufschwungs der vergangenen Jahre noch weit vom Wohlstandsniveau der Europäer entfernt ist. Es sind ausgerechnet die Ärmsten, die am schnellsten zur Zigarette greifen. Die WHO hat diesen Zusammenhang zwischen Armut und Rauchen mit einer breit angelegten Studie aus dem Vorjahr belegt. So geben die ärmsten Haushalte in Bangladesch zehnmal mehr ihres Geldes für Tabak aus als für Erziehung. In Vietnam wird 2,5-mal mehr fürs Rauchen als für Kleidung und 1,6-mal mehr als für Gesundheitsvorsorge investiert. Und in Indien konnten 61 Prozent der Raucher in einer untersuchten Region nicht lesen und schreiben.

Wissenslücken

Ein Umstand, der der Branche eher zugute kommt. Bildungsfernere Schichten sind auch weniger über die Gesundheitsgefahren des Nikotins informiert. So wussten bei einer Befragung der WHO in China 60 Prozent nicht, dass Rauchen Lungenkrebs auslösen kann.

Und noch gibt es reichlich Spielraum für die Tabakmultis, ihren Absatz nach oben zu steigern. So sind in China zwar heute schon 61 Prozent der Männer Raucher, aber nur sieben Prozent der chinesischen Frauen. Ähnlich sieht es in Südkorea aus. Die Unternehmen haben reagiert und zum Beispiel in Japan eine aufwändige Marketingkampagne für Zigarettenmarken gestartet, die angeblich reine Frauensorten seien. Der Anteil der rauchenden Frauen in Japan stieg danach signifikant an. Auch Japan gilt noch als Zukunftsmarkt, obwohl sich heute schon ein Drittel der Japaner als Raucher bezeichnet und mit Japan Tobacco einer der weltgrößten Konzerne hier ansässig ist. Die Gesundheitsexperten sehen all dies mit großer Beunruhigung. "Wir bewegen uns auf eine wahre Epidemie zu", sagt Tom Glynn, Direktor der wissenschaftlichen Abteilung der American Cancer Society mit Blick auf Indien. So haben Mediziner herausgefunden, dass die Hälfte der jährlich 400.000 Tbc-Toten auf dem Subkontinent an den Folgen ihres Tabakkonsums sterben.

Horrorszenarien

Die Zahlen für China sind noch besorgniserregender: Das chinesische Gesundheitsministerium hat ausgerechnet, dass im Jahr 2025 zwei Millionen Chinesen durch nikotinbedingte Krankheiten sterben, wenn die Entwicklung so weitergeht. 2050 könnten es dann schon drei Millionen sein. Auch die Statistiken der WHO hören sich nach Horrorszenarien an. Demnach könnten weltweit 650 Millionen Menschen, die heute noch leben, allein an den Folgen des Rauchens sterben. Ein Land wie Ägypten mit relativ gemäßigten Raucherzahlen muss pro Jahr allein 545 Millionen Dollar für die gesundheitlichen Schäden, die das Rauchen verursacht hat, ausgeben.

Ausgelaugte Böden

Wenn es um den Kampf gegen die Zigarette geht, stellen sich den Gesundheitsexperten auch die Umweltfachleute an die Seite. Sie verweisen darauf, dass der Tabakanbau so extensiv geworden ist, dass Landwirtschaft und Natur in den Ländern der Zweiten und Dritten Welt darunter massiv leiden. Die Böden, auf denen Tabak gepflanzt wird, sind nach zwei, drei Vegetationsperioden ausgelaugt und für den Anbau anderer Produkte kaum noch zu gebrauchen. Gleichzeitig werden pro Jahr 200.000 Hektar Wald dem Tabak geopfert - vor allem in Südamerika und Asien.

Die Weltbank vergibt seit Jahren bereits kaum noch Kredite an Projekte, die in irgendeiner Weise mit dem Tabakanbau zusammenhängen. Geschadet hat das dem Siegeszug der Zigarette in Asien bislang nicht. Nur noch 17 Prozent der schwedischen Männer bezeichnen sich heute als Raucher. In Südkorea sind es 62 Prozent. (Peter Ahrens, DER STANDARD Printausgabe 27/28.11.2004)