Berlin - Angesichts der Misshandlung von deutschen Bundeswehrrekruten hat Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) eine Überprüfung der gesamten Bundeswehr angeordnet. Struck kündigte an, Fehlverhalten werde unnachgiebig verfolgt. "Ausbilder, die Untergebene misshandeln, haben in der Bundeswehr nichts zu suchen. Sie müssen ihren Rock ausziehen", wiederholte der Minister in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Bild am Sonntag" frühere Äußerungen. Die Schwere des Fehlverhaltens der Ausbilder in Coesfeld gebe Anlass zu größter Sorge. Deshalb seien alle Teilstreitkräfte angewiesen, noch einmal die Ausbildung in ihrem Bereich zu durchleuchten.

Das Verteidigungsministerium bestätigte, der Wehrbeauftragte Willfried Penner habe dem Ministerium Unterlagen über angebliche weitere Misshandlungsfälle in einer Kaserne in Ahlen übergeben. Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtete, im Frühjahr 2002 hätten Ausbilder dort eine Geiselnahme durch albanische Freischärler simuliert. Zudem seien bei den Misshandlungen in Coesfeld nicht wie bisher angenommen nur zwei, sondern mindestens vier junge Soldaten mit Stromschlägen gequält worden.

30 Beschuldigte

Das Verteidigungsministerium geht mittlerweile von 30 Beschuldigten - Offiziere und Unteroffiziere - aus, die in der Kaserne im nordrhein-westfälischen Coesfeld Rekruten bei simulierten Geiselnahmen misshandelt haben sollen. Die Staatsanwalt Münster ermittelt derzeit nach Angaben eines Sprechers gegen einen Hauptmann und 20 Unteroffiziere.

Struck appellierte erneut an Opfer von Misshandlungen bei der Bundeswehr, sich zu melden. "Die Ausschreitungen der Ausbilder sind erschreckend. Aber betroffen macht mich genauso, dass die Rekruten so lange geschwiegen haben", schrieb Struck zudem in der Zeitung. Ein solches Klima dürfe sich in der Bundeswehr nicht breit machen. Im Deutschlandfunk sagte Struck am Sonntag, es gebe keinen Zweifel, dass Ausbilder, die Wehrpflichtige misshandelten, genau wüssten, was sie nicht tun dürften. Sie hätten ihre Pflichten verletzt. Struck geht davon aus, dass sich demnächst noch weitere Soldaten melden, denen ähnliches passiert sei. Zudem müssten Grundwehrdienstleistende, die nicht in Auslandseinsätze geschickt würden, auch nicht einsatznah ausgebildet werden. Die Bundeswehr lässt inzwischen prüfen, in wie weit Auslandseinsätze sich auf das Klima und die Ausbildung in der Truppe ausgewirkt haben.

In Ahlen sollen dem "Spiegel"-Bericht zufolge bei der simulierten Geiselnahme Soldaten mit verbundenen Augen auf eine verschlammte und teils gefrorene Wiese gebracht worden seien. Dort hätten sie auf der Erde liegend Verhöre und Beschimpfungen über sich ergehen lassen müssen. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, zu den angeblichen Vorfällen in Ahlen sei ihm noch nichts bekannt. Mit Ermittlungen sei erst in etwa zwei Monaten zu rechnen.

Alkoholisierte Ausbildner

Bei den Misshandlungen in Coesfeld sollen nach dem Magazin-Bericht Ausbilder einem entkleideten Rekruten nach Zeugenaussagen eine Zigarette im Nacken ausgedrückt haben. Ein weiterer habe als Folge der Gewalt eine Knochenhautentzündung am Bein erlitten. Mehrere Ausbilder seien alkoholisiert gewesen.

Offenbar trugen Gruppendruck und falsch verstandene Solidarität mit Vorgesetzten dazu bei, dass niemand offizielle Beschwerde einlegte, wie ein junger Rekrut im Gespräch mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete. Intern hätten sich viele Misshandelte aber in einer Besprechung nach einer simulierten Geiselbefragung bei ihren Ausbildern über deren Methoden beklagt. "Der Unteroffizier hat sich mit dem Argument gewehrt, er sei auf seinen Auslandseinsatz auch so vorbereitet worden. Wir sollten doch froh sein, dass wir so eine gute Grundausbildung bekommen", fügte der Soldat hinzu.

Ein beschuldigter Unteroffizier sagte dagegen der "Bild"-Zeitung", die Rekruten hätten Spaß an der gespielten Geiselvernehmung gehabt. Nach der Übung sei alles durchgesprochen worden und die Rekruten hätten von einer anstrengenden, aber interessanten Erfahrung gesprochen. Es sei allerdings ein Fehler gewesen, die Soldaten mit Stromstößen zu quälen. (APA/REUTERS)