Leute, fresst Scheiße - Millionen Fliegen können nicht irren", formulierte Brecht zu einer Zeit, als es die staatlich geförderte Zukunftsvorsorge made in Austria noch nicht gab. Heute rechnet die heimische Finanzindustrie, in zehn Jahren bis zu vier Millionen Zukunftsvorsorgeverträge unters Volk zu bringen. Können vier Millionen Österreicher irren?

Genau werden wir das erst in ein paar Jahren wissen. Aber nach und nach zeigt sich, dass die so stark propagierte Pensionsvorsorge ein Modell mit Mängeln und Tücken ist. Vom Interessenverband für Anleger bereits mehrfach kritisierte Pferdefüße sind:

[] Die als "Geschenk" beworbene Prämie von neun Prozent bringt über die in der Regel verkaufte Laufzeit von 30 Jahren letztlich nur einen Vorteil von weniger als einem halben Prozent.

[] Die Kapitalgarantie kostet indes rund ein Prozent Rendite und ist rausgeworfenes Geld. Denn je länger die Laufzeit, desto sinnloser ist eine (noch dazu bloß nominelle!) Kapitalgarantie.

[] Der starre Anteil der Veranlagung in Aktien (40 Prozent) macht das Handling zwar für Banken und Versicherungen einfach, widerspricht jedoch den Bedürfnissen der Anleger, insbesondere von Pensionisten. Denn um der Gefahr volatiler Aktienmärkte entgegenzuwirken, sollte sich bekanntlich der Aktienanteil verkehrt reziprok zum Alter verhalten: Junge Menschen - hoher Aktienanteil, ältere Menschen - geringer Aktienanteil. Die genannten Punkte werden zwangsläufig dazu führen, dass die von Banken und Versicherungen versprochenen Traumrenditen - je nach Unseriosität der Institute bis zu zehn Prozent! - nicht halten werden.

Pyramidenspiel

Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Tückischer ist die vom Gesetz vorgesehene Verpflichtung, mindestens 40 Prozent des akquirierten Kapitals de facto an der Wiener Börse zu investieren; theoretisch kämen zwar auch noch sieben Ostbörsen (von Slowenien bis Lettland) in Betracht, doch spielen diese in der Praxis so gut wie keine Rolle. Dies bedeutet, dass an der Wiener Börse - abgesehen vom normalen Geschäft - ein künstlich generierter Nachfragedruck entsteht, der die Kurse automatisch nach oben treibt.

Immerhin handelt es sich, unter Zugrundelegung der eingangs zitierten vier Millionen Vertragsabschlüsse (mit 40 Prozent von 1900 Euro), um einen zusätzlichen Veranlagungsbedarf von insgesamt mehr als drei Milliarden Euro. Und drei Milliarden Euro sind für eine europäische Regionalbörse, die im Vergleich mit Frankfurt, London oder Paris nur eine Nebenrolle spielt, durchaus kein Klacks.

Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass die Anzahl relevanter Titel von Jahr zu Jahr geringer wird: Austria Tabak, Bauholding/ Strabag, Baumax, Brau AG/ Brau Union sind bereits passé, Topcall und wahrscheinlich VA Tech werden bald vom Kurszettel verschwinden. Das hat zur Folge, dass immer mehr Kapital in immer weniger Gesellschaften investiert werden muss. Oder, aus der Sicht der Pensionsvorsorger: Für immer mehr Geld kriegen sie immer weniger Aktien.

Wir haben es also mit einem klassischen Fall von Heißluftökonomie zu tun: Mit hohem Druck wird eine Blase produziert, die irgendwann einmal platzen wird - und zwar spätestens, wenn die ersten Pensionsverträge abreifen und Aktien verkauft werden müssen. Was dann passiert, ist einfach zu prognostizieren, wenn man an die Funktionsweise einschlägig bekannter Piloten-oder Pyramidenspiele denkt: Den/die Letzten beißen die Hunde. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.11.2004)