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Hat eine Überprüfung der gesamten Bundeswehr angeordnet: Verteidigungsminister Peter Struck.

Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann
Als vor einer Woche bekannt wurde, dass Ausbilder deutsche Soldaten mit Stromstößen gequält hatten, sprach Verteidigungsminister Peter Struck von einem Einzelfall.

Inzwischen gibt es aber schon den vierten Einzelfall. Ein Ministeriumssprecher teilte am Montag mit, dass im niedersächsischen Nienburg Rekruten während einer nachgestellten Geiselnahme gefesselt worden seien. Dieser Vorfall soll sich heuer ereignet haben.

Zuvor war bekannt geworden, dass Soldaten im bayerischen Kempten nach einem Nachtmarsch mit verbundenen Augen in einen feuchten Keller gesperrt wurden. Laut Ministeriumssprecher sind dazu bereits 84 Vernehmungen durchgeführt worden.

Parallelen zu Abu Ghraib und Guantánamo

Bei den zwei Vorfällen in Nordrhein-Westfalen sind Parallelen zur Vorgangsweise von US-Soldaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib und im Gefangenenlager Guantánamo auffällig: In Coesfeld waren Grundwehrdienern Säcke über den Kopf gestülpt worden, sie waren mit Wasser bespritzt worden, mussten stundenlang knien, und vier mussten Stromstöße über sich ergehen lassen.

Laut Zeugenaussagen haben Ausbilder, verkleidet als "arabische Terroristen", einem entkleideten Rekruten eine Zigarette im Nacken aus gedrückt. In Ahlen sollen Ausbilder ebenfalls eine Geiselnahme simuliert haben.

Das Verteidigungsministerium gesteht Defizite bei der Ausbildung ein: Der Generalinspekteur werde in den nächsten Wochen mehrere Konferenzen mit allen ausbildenden Kompaniechefs machen, sagte der Sprecher.

Kennwort "Tiffy"

Die in Coesfeld tätigen Ausbilder sehen sich dagegen zu Unrecht an den Pranger gestellt. In Interviews bestreiten sie, exzessiv vorgangen zu sein. Die Rekruten hätten gewusst, dass es sich um eine spezielle Übung handle. Wer immer das Kennwort "Tiffy" gerufen habe, mit dem sei die Übung abgebrochen worden.

Bei den Wortmeldungen wird deutlich, dass sie sich zu Unrecht vom Dienst suspendiert fühlen. Dies hatte der Verteidigungsminister noch vor Abschluss der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen 30 Offiziere und Unteroffiziere der Coesfelder Kaserne verfügt. Angesichts der Vorfälle hat Struck nun eine Überprüfung der gesamten Bundeswehr angeordnet. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2004)