Im Saal des Obersten Gerichts in Kiew waren am Montag tief besorgte Gesichter zu sehen. Beraten wurde, ob die vom oppositionellen Lager Viktor Juschtschenkos eingebrachten Beschwerden über Wahlfälschungen, die vom Lager Viktor Janukowitschs initiiert worden sein sollen, rechtmäßig sind. Das Oberste Gericht schob seine Entscheidung laut Anatolij Jarema, Vertreter des Justizministeriums, auf. Die Anwälten Janukowitschs können bis Dienstag 12 Uhr weitere Wahlfälschungsbeweise, die das Lager Juschtschenkos vorgelegt hat, prüfen.

Beide Lager setzen ihre Hoffnung in die Justiz. Die Namen der auf Lebenszeit gewählten Juristen in dem Höchstgericht wurden bis zuletzt geheim gehalten, damit sie nicht unter Druck gesetzt werden können. Es kursierten Gerüchte, dass das Janukowitsch-Lager versucht habe, einige Richter zu bestechen.

Wird der Opposition Recht gegeben, so wäre dies ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Wiederholung der Stichwahlen. Das letzte Worte haben allerdings nicht die Richter, über das weitere Vorgehen entscheidet letztlich der scheidende Präsident Leonid Kutschma. Bislang hat Kutschma keine Bewegung in der Frage gezeigt.

Am Montag traf er mit Janukowitsch und ostukrainischen Gouverneuren zusammen. Janukowitsch erklärte sich anschließend zu Neuwahlen in zwei Regionen im Osten des Landes bereit. In Donezk und Luhansk hatte er bei der Stichwahl jeweils mehr als 90 Prozent der Stimmen bekommen. Zu Nachwahlen in weiteren Regionen ist er nicht bereit.

Separatismus-Drohung

Der bevölkerungs- und industriereiche Osten hatte im Beisein Janukowitschs mit Separatismus gedroht, sollte die Opposition an die Macht kommen. Die Opposition beschuldigte daraufhin Janukowitsch in seiner Funktion als Premier des Staatsverrats und forderte Kutschma ultimativ auf, das Kabinett Janukowitsch und die "separatistischen Gouverneure" im Osten binnen 24 Stunden zu entlassen. Sonst würde Kutschma selbst juristisch verfolgt. Der bezeichnete "jede Teilung" des Landes als "nicht hinnehmbar". Auch die EU und die Nato warnten vor einer Spaltung.

Janukowitsch, Juschtschenko und Kutschma warnten indes vor der Gefahr eines Bürgerkrieges. In der Zentralukraine wurde ein Journalist zusammengeschlagen, weil er zu negativ über Janukowitsch berichtet hatte. Verteidigungsminister Alexander Kusmuk erklärte Montag, die Armee werde die "territoriale Integrität" des Landes verteidigen.

Unterdessen gehen die Demonstrationen weiter. Auch nach acht Tagen Dauerdemonstrationen in der Kälte bringt die Opposition nach wie vor Hunderttausende Menschen auf Kiews Straßen. Züge mit Demonstranten kommen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt. Die Stimmung ist friedlich. Die Staatsmacht wird allerdings verdächtigt, mit ihrer Hinhaltetaktik den physischen und psychischen Widerstand zu schwächen.

"Es ist nur ein Krieg der Worte", scheint sich eine ältliche Cafébesitzerin selbst zu beruhigen: "Man wird sich einigen". (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2004)