Nach einem dramatisch aufgemachten Bericht der Presse ist Österreich nach Meinung der Behörden Zufluchtsort für islamische Radikale. Daran wird ein wahrer Kern sein, wenngleich die Story in der Presse wenig konkrete Fakten zu bieten hatte.

Umso genauer muss man aber registrieren, dass sich innerhalb der islamischen Gemeinde in Österreich gewichtige Stimmen erheben und den Radikalismus klar verurteilen. Von den Muslimen in Europa wird zu Recht gefordert, sie mögen ihre Stimmen gegen den Terrorismus und die falsche Auslegung des Koran erheben.

In der Wiener Shura-Moschee im zweiten Bezirk hielt nun der bekannte islamische Gelehrte und Geistliche Scheich Mag. Adnan Ibrahim eine Freitagspredigt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: Ibrahim, ein österreichischer Staatsbürger palästinensischer Herkunft, bezog sich auf den Mord an dem holländischen Regisseur Theo van Gogh und sagte u.a.: "Die Ereignisse in Holland nach dem Mord an Theo van Gogh erfordern eine klare Stellungnahme und einen internen Diskurs unter Muslimen.

Ohne Wenn und Aber ist der Mord am Filmemacher Theo van Gogh zu verurteilen, unabhängig davon, wie man zu den Werken oder Aussagen des Regisseurs steht. Die Tat ist eine Katastrophe für alle Menschen in Europa und bedroht den sozialen Frieden nicht nur in Holland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, wie ein Angriff auf eine muslimische Einrichtung in Deutschland am drastischsten zeigt."

Europa "gab und gibt Muslimen die Freiheit, ihre Religion so auszuüben, wie es in etlichen Ländern der islamischen Welt nicht möglich wäre", sagte Ibrahim. Dessen sollten sie sich bewusst sein, Dankbarkeit zeigen und erkennen, dass diese Standards selbstverständlich für alle gleichermaßen gelten.

Höre man etwa von einem Imam in Holland, der die Mehrheitsgesellschaft als "Ungläubige" bezeichnet hat und negative Stimmung gegen Menschen anderen Glaubens oder anderer Weltanschauung verbreitet, so könne man von muslimischer Seite dazu nicht schweigen.

"Solche so genannten ,Gelehrten' bezichtigen auch namhafte etablierte und anerkannte Gelehrte der islamischen Welt des ,Unglaubens' und geben entsprechende Fatwas (Rechtsgutachten) heraus. Damit versuchen sie die Muslime zu spalten und Unfrieden zu stiften."

Muslime hätten sich an die Verfassung und die Gesetze des Landes, in dem sie leben, zu halten. Dies entspricht dem Konzept des "dar al aqad", des "Hauses des vertraglich geregelten Zusammenlebens", und hebt das überkommene Konzept eines "dar al harb", eines "Haus des Krieges", auf: "Die Souveränität und Gerichtsbarkeit dieser Länder, in denen wir leben, ist zu respektieren. Selbstjustiz oder ähnliche eigenmächtigen Aktionen sind untersagt."

Wollte man den Werken Theo van Goghs etwas entgegensetzen, so könne dies nur mit denselben Werkzeugen geschehen.

Der Prediger lobte die "besondere Situation einer geordneten Beziehung zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft". An die heimischen Medien richtete er die Aufforderung, nicht praktizierende Muslime nicht als "gemäßigte" zu bezeichnen, weil dadurch den gemäßigten praktizierenden Muslimen der Boden unter den Füßen entzogen würde: "Dann gibt es nur mehr die Polarität der nicht Religiösen und der Extremisten" (Übersetzung und Zusammenfassung durch die "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen". Klare Worte, die als solche auch gewürdigt werden sollten. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.11.2004)