Grund für die generelle Erhitzung der Gemüter ist die parteiinterne Abstimmung über die EU-Verfassung. Sozialistenchef François Hollande musste sie ansetzen, weil in dieser Frage keinerlei Parteikonsens mehr möglich war. Linke Globalisierungsgegner kritisieren in erster Linie, dass das Verfassungsprojekt das Steuerdumping und die Auslagerung von Arbeitsplätzen nach Osteuropa übergehe. Der gemäßigt-sozialdemokratische Flügel unter Hollande warnt hingegen davor, die EU mit einem Nein in eine Krise zu stürzen.
Genau das schwebt den Gegnern vor: "Nur ein heilsamer Schock kann die wirtschaftsliberale Eigendynamik der EU stoppen", meint Laurent Fabius, der Bannerträger der Neinsager. Der Expremier und heutige Parteivize wurde bisher dem rechten Parteiflügel zugerechnet. Doch er hat sich geschickt zum Wortführer der Verfassungsgegner aufgeschwungen: Sollten die Sozialisten mehrheitlich mit Nein stimmen, würde Fabius fast automatisch in die Rolle des Oppositionschefs schlüpfen; er könnte die EU-Gegner 2005 in die nationale Abstimmung über die EU-Verfassung führen, die Staatschef Jacques Chirac angeordnet hat, und er würde zum Kronfavoriten der Linken vor den nächsten Präsidentschaftswahlen 2007.
Lionel Jospin erklärte diese Woche, ohne Fabius namentlich zu nennen, dass die Gegner der EU-Verfassung "gar nicht das Gesicht Europas, sondern die Machtverhältnisse in der Partei ändern wollen". Der Ausgang der internen Abstimmung vom 1. Dezember ist völlig offen. Umfragen zufolge sollen die Befürworter der EU-Verfassung im Parti Socialiste einen leichten Vorsprung haben. Auf jeden Fall wäre ein sozialistisches Nein ein sehr schlechtes Omen für die in einem Jahr geplante nationale Abstimmung über die EU-Verfassung. Was passieren würde, wenn ein Land wie Frankreich die EU-Verfassung ablehnt, mögen sich die EU-Strategen gar nicht erst ausmalen.