Kiew - Eine Revolution hat begonnen, doch noch ist nichts wirklich entschieden. In diesem Zwischenstadium, mehr als eine Woche nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen in der Ukraine, wird die Unruhe der Menschen im Land nun spürbar. Dienstagabend wurde EU-Außenbeauftragter Javier Solana wieder zu Vermittlungen zwischen Regierung und Opposition erwartet. Den ganzen Tag über hatten die Ukrainer auf eine Entscheidung des Höchstgerichts über Neuwahlen gewartet. Immer noch schwebt die Gefahr eines plötzlichen Gewaltausbruchs über den Demonstrationen.

Die Oppositionsbewegung des Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko durchlief am Dienstag eine Warm-Kalt-Dusche. Das Parlament fiel ihr in den Rücken. Die Abgeordneten lehnten einen Misstrauensantrag ab, mit dem der offizielle Wahlsieger Viktor Janukowitsch als Premier wegen der Unterstützung separatistischer Tendenzen zum Rücktritt gezwungen werden sollte. Das Parlament trifft am Mittwoch ab 10.00 Uhr (9.00 Uhr MEZ) zu einer Sondersitzung zusammen. Möglicherweise wird in dieser Sitzung ein Misstrauensantrag gegen die Regierung geprüft. Damit hat die Erfolgsserie der Opposition einen Dämpfer erlitten.

Gerade erst tags zuvor war erstmals richtig Bewegung in eine mögliche Lösung der Krise gekommen, als der amtierende Präsident Leonid Kutschma sein Schweigen brach und Zustimmung zu Neuwahlen signalisierte. Sein Wort hat nach wie vor absolutes Gewicht und dürfte auch den Höchstrichtern den Weg zu einer Entscheidung ebnen. Seit Montag wurde dort beraten, ob die vom Juschtschenko-Lager eingebrachten Beschwerden über Wahlfälschungen rechtmäßig sind.

Das Gericht kann das Wahlergebnis annullieren, einen neuen Wahltermin muss letztlich aber Kutschma anordnen. Modus der Wahl und damit Zahl der Namen und Kandidaten sind genauso offen, wie der Termin. Das Ergebnis solcher Wahlen will nun auch Russlands Präsident Wladimir Putin anerkennen. Das sicherte er in einem Telefonat mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder zu. Schröder und Putin seien sich einig, dass das "Ergebnis einer Wahlwiederholung strikt zu respektieren sei", erklärte ein Regierungssprecher in Berlin.

Dabei war es der russische Präsident, der mit seiner massiven Unterstützung für Janukowitsch die Lager in der Ukraine zusätzlich polarisiert hatte. Der bot in einer Fernsehansprache seinem Herausforderer das Amt des Premiers an. Juschtschenko lehnte ab. (sed/DER STANDARD, Printausgabe, 1.12.2004)