Als kämpferischer Begriff zur Befreiung der Frauen aus verschiedenen Abhängigkeiten in privater, politischer und ökonomischer Hinsicht - Abhängigkeiten, die einander bedingen - galt der Terminus "Selbstbestimmung" der Frauenbewegung der 70er-Jahre als der Versuch verkrustete patriarchale Geschlechterrollen aufzulösen, um den Frauen ein menschenwürdigeres Leben zu gewährleisten. Schon in den 90er-Jahren schien der Begriff, nicht zuletzt durch gesetzliche Reformen und Institutionalisierung von frauenpolitischen Themen auf unterschiedlichen Ebenen, an Kraft und Zauber eingebüßt zu haben. Selbstbestimmung war - zumindest im politischen Diskurs (abgesehen vom kurzen Auftritt des Liberalen Forums) - für die Frauenpolitiken aus der Mode gekommen.
Jetzt ist er wieder da, der geheimnisumwobene Begriff der "Selbstbestimmung". Und wir sind skeptisch, was sich unter ihm verbirgt, trägt er doch neue Kleider und die sind genauso unsichtbar, wie jene des Kaisers in dem bekannten Märchen. Nun, was ist das eigentlich, die "Selbstbestimmung"? Laut Duden "das Recht des einzelnen (...) auf frei gewählte, eigenverantwortliche Daseinsgestaltung (v.a. im weltanschaulichen, familiären und vermögensrechtlichen Bereich)".
Klingt nicht schlecht. Wer will nicht frei wählen und selbstverantwortlich leben? Der Haken ist bloß, dass Wahlfreiheit und Eigenverantwortung der Einzelnen im gesellschaftspolitischen Ganzen sehr bald an ihre Grenzen stoßen. Und an diesen Grenzen entzündet sich auch die Kritik an der Frauenpolitik bzw. an der primär Verantwortlichen für dieselbe, Maria Rauch-Kallat, die kürzlich feststellte: "Unsere Frauenpolitik orientiert sich an einem modernen Frauenbild, das von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung und Hilfe zur Selbsthilfe geprägt ist". Und die ÖVP-Frauensprecherin pflichtete ihr bei: "Frauen tragen heute die Verantwortung für die eigene Versorgung".
Dies alles ergibt durchaus Sinn. Schwarz-Blau hat in ihrer nun beinahe fünfjährigen Regierung zur Genüge bewiesen, wohin unser Land steuert. In erster Linie Sozialabbau anstelle von Sozialpolitik. Wirtschaftsinteressen anstelle von Arbeitsmarktpolitik, Familienpolitik anstelle von Frauenpolitik, um nur einige Eckpfeiler der Auflösung politischer Verantwortung für das soziale Ganze zu nennen. Die Menschen werden in eine sogenannte Selbstverantwortung geschleudert, ohne ihnen dafür Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine solche überhaupt erst ermöglichen. Die Regierenden haben sich selbst aus dieser Verantwortung entlassen und damit das nicht so auffällt, nehmen sie das schöne alte Zauberwort der "Selbstbestimmung" in ihre Münder.
Aber so wie im Märchen nehmen die Kleider der Kaiserin, pardon Gräfin, und ihrer Zofe nun schön langsam doch Gestalt an. Wir können sie sehen, auch wenn uns - wie dem kleinen Buben im Märchen - gesagt wird, dass wir uns täuschen, dass wir das Falsche sehen, dass wir verblendet... Aber zuletzt hatte der kleine Bub Recht und bald sah das ganze Volk, dass der Kaiser nackt war. (Dagmar Buchta)