Marcus Franz

Hechelnd hetzt die moderne Medizin den von ihr selbst und den Medien geschaffenen Idealen von lebenslanger Gesundheit, Jugend und Vitalität nach - und der Patient hechelt mit. Gentechnik, Glückspillen und Hormone für oder gegen alles werden propagiert, die Pharmaindustrie überschwemmt die Märkte mit immer neuen Produkten, immer mehr Lebensbereiche werden von der Medizin vereinnahmt (Reise-, Arbeits-, Sportmedizin usw.), kurz, das medizinische Leistungsangebot explodiert.

Folge dieses Phänomens ist auch eine stetig wachsende Begehrlichkeit des Einzelnen, deren Befriedigung durch das öffentliche Gesundheitssystem kaum mehr finanzierbar ist. Die Ärzte stehen immer häufiger vor Patienten, die zum Beispiel sofort die neue Therapie aus den USA haben wollen, von der sie "gestern in der Zeitung gelesen" haben, oder Untersuchungen fordern, die gerade "in", aber nicht wirklich nötig sind. Auch und vor allem der ganz normale Prozess des Alterns wird zunehmend als Krankheit verstanden und erfordert in der öffentlichen Meinung somit Behandlung, Spezialisten und Medikamente. Der entsprechende "Behandlungsbedarf" wird durch die medizinische Etikettierung dieses natürlichen Vorgangs massiv verstärkt. Egal, ob medikalisiertes Alter, schiefe Nase oder vermeintlicher Hormonmangel - die von der Werbung suggerierte Aussicht, jung, gesund und schön zu werden/zu bleiben, weckt immer irrationalere Bedürfnisse.

Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten, kritisch wird sie aber, wenn für alle Leistungen, welche die Medizin erbringen kann, die öffentliche Hand aufkommen muss. Wenn Arzt und vor allem Krankenhaus als eine Art Gesundheitssupermarkt zum Beinahe-Nulltarif gesehen werden, ist der wachsenden Nachfrage und somit der Kostenbelastung in einem derartigen System kaum Einhalt zu gebieten.

Die einzige Möglichkeit, dieses Phänomen einzudämmen, ist die Einführung klarer Rationalisierungs- und Regulierungsmaßnahmen, um ein Umdenken beim Einzelnen zu bewirken.

Der Selbstbehalt als Denkanstoß

Zurzeit wird der Selbstbehalt noch heftig diskutiert, er wird jedoch nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem neuen Verständnis von Gesundheitspolitik sein.

Ein zentraler Stellenwert wird künftig vor allem der Erzeugung von Kostenbewusstsein beim Patienten zukommen: Welcher Österreicher weiß heute, wie viel ein Tag Spital kostet oder eine Packung Cholesterinsenker? (Z. B. einmal im Jahr eine Kostenliste von der Kasse zugesandt, würde hier schon etwas bewirken - private Versicherer tun ähnliches seit langem.)

Auch fundierte Richtlinien sind nötig: Was ist für welchen Patienten sinnvoll und notwendig, was ist quasi als "Draufgabe" in Behandlung und Therapie zu sehen?

Der Staat muss seinen Bürgern endlich klar und offen sagen, was er für den Einzelnen bezahlen kann; und die Gesundheit, unser "höchstes Gut", kostet Geld - nur hat das infolge der bisherigen Politik eben kaum jemand zur Kenntnis genommen. Der "Vorbehalt gegen Selbstbehalt" ist daher verständlich. Mit geeigneter Information versehen, wird der viel zitierte mündige Bürger aber notwendige Maßnahmen zur Sanierung des Gesundheitssystems verstehen und annehmen.

Für die Politik ist offenbar nun die Zeit gekommen, nach klaren und machbaren Lösungen zu suchen - Lösungen allerdings, die für die Allgemeinheit nicht nur finanziell, sondern auch ethisch tragbar sein müssen.

Dr. Marcus Franz ist Internist im Krankenhaus Lainz.