Kiew - Nach immer neuen Hinweisen auf massive Wahlfälschungen in der Ukraine geht die Staatsmacht auf Distanz zu Ministerpräsident Viktor Janukowitsch. Der amtierende ukrainische Staatschef Leonid Kutschma bekräftigte am Donnerstag seine Forderung nach einer kompletten Wiederholung der Präsidentenwahl, die nach umstrittenen offiziellen Ergebnissen Janukowitsch gewonnen hatte. Es mehrten sich die Anzeichen, dass Kutschma nach einem neuen Kandidaten sucht. Mit Spannung wurde die Sitzung des Obersten Gerichts an diesem Freitag in Kiew erwartet. Beobachter hielten ein Urteil über die Klagen der Opposition um Viktor Juschtschenko für wahrscheinlich.

Putin:"Das letzte Wort hat das Volk"

Einen Tag nach der erfolgreichen Vermittlung der EU in der Ukraine griff am Donnerstag Russlands Präsident Wladimir Putin in den Streit um die Präsidentenwahl ein. Bei einem Treffen mit Kutschma in Moskau lehnte auch Putin die Forderung der Opposition nach einer Wiederholung der Stichwahl ab. Russland werde alles tun, um zu einer Stabilisierung der Lage beizutragen, sagte Putin. Moskau und Brüssel könnten indes nur Vermittler sein. "Das letzte Wort hat das ukrainische Volk", sagte der Kreml-Chef. Auch Russland hatte auf den von Kutschma vorgeschlagenen Nachfolger Janukowitsch gesetzt.

Vor dem Obersten Gericht sagte ein Mitglied der Zentralen Wahlkommission aus, dass bei der Stichwahl am 21. November eine Million Stimmen zusätzlich in die Wahlurnen geworfen worden seien. Nach dem offiziellen Ergebnis hatte Janukowitsch die Wahl mit einem Vorsprung von 870.000 Stimmen vor Oppositionsführer Juschtschenko gewonnen. Wahrscheinlich würden die Richter zahlreiche Wahlfälschungen feststellen, räumte auch Kutschma ein. Juschtschenko vermutet vor allem Betrug in den östlichen und südlichen Landesteilen.

Juschtschenko will nur Stichwahl wiederholen

Juschtschenko bekräftigte seine Forderung nach einer Wiederholung der Stichwahl. Die zwei Wahlgänge seien wie Fußball-Halbzeiten gewesen, sagte er vor tausenden Demonstranten in der Hauptstadt. "Wenn der Schiedsrichter dann keinen Sieger ermittelt hat, gibt es Elfmeter-Schießen." Anders als vereinbart riegelte die Opposition wichtige Regierungsgebäude in Kiew weiterhin ab. Die Opposition richtete sich angesichts schleppender politischer Entwicklungen auf dauerhafte Proteste ein.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder legten sich nach einem Treffen in Lübeck nicht fest, ob sie Neuwahlen in der Ukraine befürworten. "Man kann Ratschläge geben, aber wenn man sie öffentlich gibt, helfen sie nicht", sagte Schröder. Außenminister Joschka Fischer sagte in Berlin, der Wille des ukrainischen Volkes müsse unverfälscht zum Ausdruck gebracht werden. Führende Bürgerrechtler der ehemaligen DDR, darunter Bärbel Bohley, Joachim Gauck und Markus Meckel, unterstützten die ukrainische Opposition in einem öffentlichen Aufruf.(APA/dpa/AP)