Wien - Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat bei seiner gestrigen Zinssitzung zwischen einer Zinserhöhung und unveränderten Leitzinsen abgewogen. Eine Zinssenkung stand nicht zur Disposition, sagte Klaus Liebscher, Mitglied des EZB-Rates und Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), am Freitag im Wiener Klub der Wirtschaftspublizisten. Schließlich sei die Entscheidung einhellig für eine Beibehaltung des aktuellen Zinsniveaus gefallen.

"Fortgesetzte Wachsamkeit" in der EZB

Angesichts der Gefahr einer steigenden Inflation bleibe die EZB wachsam: "Die Aufwärtsrisken bleiben hoch", sagte der Gouverneur. Die Euro-Währungshüter in Frankfurt haben sich daher zur "fortgesetzten Wachsamkeit" verpflichtet.

Als größten Unsicherheitsfaktor nannte Liebscher heute den Ölpreis, der wesentlich für die jüngste Tendenz zu höherer Inflation verantwortlich sei. Für 2005 sieht er die Inflation in einer Bandbreite zwischen 1,5 und 2,5 Prozent - höher als die im Sommer abgegebene Prognose zwischen 1,3 und 2,3 Prozent. Im Folgejahr 2006 dürfte sich die Teuerung in einer Bandbreite zwischen 1,0 und 2,2 Prozent bewegen, sagte der Gouverneur. Für das laufende Jahr zeichne sich ein Durchschnittswert zwischen 2,1 und 2,3 Prozent ab.

Inflation bis Mitte 2005 "sicher über zwei Prozent"

Der Ölpreis führe auch dazu, dass die Teuerung bis Mitte 2005 im Jahresabstand "sicher über zwei Prozent" bleiben werde, in der zweiten Jahreshälfte sollte dieser Wert wieder unter zwei Prozent tendieren. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass es zu keinen weiteren Preisschocks komme und auch keine Zweitrundeneffekte auftreten.

In der Euro-Zone dürfte die Wirtschaft im nächsten Jahr um 1,4 bis 2,4 Prozent wachsen, schätzen Mitarbeiter der EZB. Damit wurde eine frühere Schätzung (1,8 bis 2,8 Prozent) nach unten revidiert. 2006 dürfte die Euro-Wirtschaft zwischen 1,7 und 2,7 Prozent wachsen. "Das Wirtschaftswachstum liegt damit am unteren Rand des Potenzialwachstums", sagte Liebscher. Diese Entwicklung sei im Wesentlichen von Exporten getragen.

Einmal mehr sprach sich Liebscher klar für ein Festhalten am Stabilitäts- und Wachstumspakt in der bestehenden Form aus. "Der Pakt funktioniert, wie er ist. Nicht der Pakt ist mangelhaft, sondern es fehlt mitunter der Wille der Regierungen". "In manchen Staatskanzleien" vermisse er "das Problembewusstsein, was es heißt, stabile Staatsfinanzen zu haben". (APA)