"Die meisten weinten, weil ihnen die Füße vom Gehen wehtaten und nicht wegen der angeblichen ,Misshandlungen'. Ich selbst sah, wie viele von diesem Abschlussmarsch zurückkamen, und die meisten hatten ihren Spaß dabei, mit ,Masken' herumzulaufen, und waren nur froh, vom anstrengenden Marsch zurück zu sein. Heutzutage sind die Menschen einfach zu große Weicheier." - So sieht ein Leserbriefschreiber an den STANDARD die Vorkommnisse in Freistadt, die nun unter dem Titel "Folterskandal" Österreich erschüttern. So ähnlich müssen viele Rekruten empfunden haben, sonst hätten Beschwerden über die Überraschungseinlage der Ausbildner schon früher auftauchen müssen, sonst hätten die Betroffenen diesen Härtetest nicht einfach hingenommen. Das ist falsch verstandener Korpsgeist.

Kriegsspielerei

Worum es wirklich geht: Ein paar Vorgesetzte haben die Wehrmännerausbildung mit wilder Kriegsspielerei verwechselt, die Menschenrechte der ihnen Anbefohlenen mit Füßen getreten, die höheren Grade haben nicht genug hin-oder, schlimmer noch, intensiv weggeschaut. Nebenbei: Chargen, Unteroffiziere und Offiziere sind auch für den Schutz der Untergebenen verantwortlich.

Die Lizenz zum Schinden - wie der Ausbildner im Film "Full Metal Jacket" - hätten manche gerne, es gibt sie aber nicht. Das hat etwas mit den Menschenrechten zu tun. Es hat sich offenkundig noch nicht ganz durchgesprochen, dass die auch innerhalb der Kasernenmauern gelten.

Spezialtraining wird streng überwacht

Und die Männer in den Spezialeinheiten, wie kommen die zu ihren Fähigkeiten? Bei deren Ausbildung geht es tatsächlich brutal zu, aber es sind Freiwillige, ihre Ausbildner keine Möchtegernrambos. Das Spezialtraining wird streng überwacht, die Soldaten werden medizinisch besonders betreut.

Den Kerlen einmal zeigen, wie's beim Jagdkommando zugeht: Das mag ein Beweggrund für die ungustiöse Übung in Freistadt gewesen sein - und: Man stellt sich durch die gegenüber anderen geübte Härte selbst ein wenig höher.

Klare Grenzüberschreitung

In Spezialeinheiten müssen die Soldaten mit hohem Stress fertig werden. Und das eben sollen sie lernen, zu ihrem Schutz und zur Sicherheit ihrer Kameraden. Im Umgang mit Grundwehrdienern haben diese Überlegungen nichts zu suchen. Die Geiselnahmeübung war kein zielgerichtetes Programm, das war eine klare Grenzüberschreitung.

Da wird geübt, wie man Menschen bricht, um sie danach richtig herrichten zu können. So ganz aus der Luft gegriffen sind solche Vorstellungen jedoch nicht, was nichts darüber aussagt, wie falsch sie sind. Die Kaserne Freistadt ist nicht Abu Ghraib. Von der Menschenverachtung, die wir in den Videos aus dem ehemaligen Saddam-Gefängnis gesehen haben, wird in den Aufnahmen aus Oberösterreich aber durchaus etwas spürbar.

Belege für Übergriffe

Menschen nicht als achtenswerte Individuen zu sehen, sondern als eine zu beherrschende Masse, ist nicht auf ein paar durchknallte Militärs im Irak beschränkt. Uniformierte mit brutalen Allüren gibt es nicht nur in ein paar deutschen Kasernen. Die nächsten Tage werden wohl auch in Österreich noch ausreichend tatsächliche oder vermeintliche Belege für Übergriffe in der Soldatenausbildung bringen.

Abhärtung der jungen Burschen, das Heer ist kein Mädchenpensionat: Die Floskeln sind bekannt, gerne am Stammtisch gebraucht, und doch steht hinter diesen hilflosen Entschuldigungsversuchen nichts anderes als ziemlich überkommenes Gedankengut.

Menschen heruntermachen oder Individuen aufbauen

Menschen heruntermachen oder Individuen aufbauen: Darauf läuft es hinaus, aber in vielen Kommissschädeln hat sich die falsche Antwort festgesetzt.

Die Armeen der westlichen Welt sind zur Verteidigung der Demokratie aufgestellt. Zur Bewältigung dieser Aufgabe reichen Waffen nicht: Das Heer kann demokratische Werte nur dann glaubwürdig vertreten, wenn diese auch in den eigenen Reihen gelebt werden. (Otto Ranftl, DER STANDARD Printausgabe 4.12.2004)