Dass er den Beinamen "Genosse der Bosse" zu Recht trägt, stellt diese Woche der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder erneut unter Beweis. Mit 43 Spitzenmanagern der deutschen Wirtschaft ist er in China unterwegs. Bereits zum sechsten Mal in Schröders Amtszeit reist er in dieses Boomland mit den rasanten Wachstumsraten. Diesmal ist der Spatenstich für den Bau neuer Produktionsstätten von DaimlerChrysler und VW vorgesehen. Außerdem sollen Verträge für Großaufträge in Milliardenhöhe unterzeichnet werden.

Die chinesischen Gastgeber haben im Vorfeld ein Gastgeschenk eingefordert, das ihnen Schröder auch prompt erfüllen will. Pekings Führung verlangt die Aufhebung des EU-Waffenembargos, das nach der Niederschlagung der Proteste am Platz des Himmlischen Friedens 1989 verhängt worden war. Schröder versicherte, er werde sich für die Aufhebung einsetzen, weil das Embargo "nicht mehr zeitgemäß" sei. Er stellt sich damit gegen die Auffassung der meisten EU-Staaten, des EU-Parlaments und nicht zuletzt gegen die meisten Abgeordneten seiner Koalition aus SPD und Grünen. Erst Ende Oktober hatten Vertreter aller Fraktionen mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen erklärt, es sei für eine Aufhebung des Embargos noch zu früh.

Doch das ficht den obersten Handelsvertreter Deutschlands nicht an, wie auch Kritik an ihm abprallt, weil er Menschenrechtsverletzungen Russlands in Tschetschenien ignoriert. Schröder hatte jüngst Russlands Präsident Wladimir Putin einen "lupenreinen Demokraten" genannt und fast zeitgleich eine Initiative gestartet, damit mithilfe deutscher Firmen noch mehr Erdöl und Gas aus Russland bezogen wird. Indem Schröder alles dem Primat der Wirtschaft unterordnet, untergräbt er das Menschenrechtsengagement der rot-grünen Koalition. (DER STANDARD, Printausgabe 6.12.2004)