STANDARD: Sie betreiben am Institut für "Information and Communication Technologies and Society" an der Uni Salzburg gesellschaftlich orientierte Technologieforschung, wobei Sie sich stark auf Internet und digitale Netzwerke konzentrieren. Was macht diese Innovationen für gesellschaftliche Prozesse so spannend?

Ursula Maier-Rabler: Im Vergleich zu früheren technischen Revolutionen hat das Internet einen sehr, sehr universellen und breiten Wirkungsbereich in unserer Gesellschaft. Das ist nicht so wie bei der Erfindung der Dampfmaschine, wo zunächst einmal nur der Produktionssektor betroffen war und sich dann zunehmend das Leben verändert hat. Die neuen Technologien wirken überall gleichzeitig. Sie sind am Arbeitsplatz integriert, sie sind der Motor eines großen Teils der Wirtschaft, und sie verändern die Art und Weise, wie wir uns informieren und weiterbilden.

STANDARD: Sie konzentrieren sich auch stark auf das Gebiet E-Policy. Inwieweit wird sich künftig Politik auf dieser Basis verändern?

Maier-Rabler: Es werden neue Formen der Kommunikation erwartet, ein höheres Maß an Transparenz. Die Politik hängt hier aber noch sehr weit nach. Wir haben nach wie vor eine Verlautbarungspolitik, eine einseitige Politik. Das Dialogische, das durch diese neuen Technologien wichtig ist, ist einfach noch nicht geübt und eingeführt. Auch bei dem, was derzeit unter E-Government verstanden wird, geht es wieder nur um Verwaltung und vorgeschriebene Kommunikation, die man halt abwickelt. Am Institut fragen wir uns auch, ob es auch den umgekehrten Weg gibt, dass die Gesellschaft auf die Technologie wirkt. Es soll ja nicht nur ein ständiger Anpassungsprozess stattfinden, bei dem wir den Entwicklungen immer hinterherhinken.

STANDARD: Gibt es überhaupt noch Bereiche in der Gesellschaft, wo man sich der Digitalisierung gänzlich entziehen kann?

Maier-Rabler: Natürlich kann sich jemand individuell entziehen und sagen "mich interessiert das nicht". Das heißt aber dennoch, dass diese Person in unserer Welt lebt und damit ihre Rahmenbedingungen durch die neuen Technologien beeinflusst sind. Ich glaube auch, dass dieser Entzug ein absoluter Luxus ist, den sich nur jene leisten können, die sich's leisten können.

STANDARD: Wäre das auch eine Form von aktivem Reagieren auf das neue System?

Maier-Rabler: Teile der Gesellschaft reagieren sicher aktiv darauf, in dem Ausmaß, in dem sie neue Technologien in ihr Leben diffundieren lassen. Da gibt es ein ganz interessantes Konzept vom Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen, mit dem ich sehr viel arbeite: Er spricht davon, dass die Regierungen dafür Sorge tragen müssen, dass die Bevölkerung die notwendigen "capabilities", also Fähigkeiten entwickelt, um selbst entscheiden zu können, wie sie ihr Leben leben will. Wir verfolgen bei den neuen Technologien einen ähnlichen Ansatz: Menschen sollen in die Lage versetzt werden, wissend entscheiden zu können, wie sie diese anwenden und in ihr Leben integrieren wollen.

STANDARD: Ist das Entwickeln der Fähigkeiten erwünscht?

Maier-Rabler: Natürlich nicht. Wirtschaft und Regierung sind froh, wenn sie eine hohe Diffusionsrate haben, um die Leute als Kunden oder Bürger zu erreichen. Echte "capabilities" sind aber mehr als ein Computerkurs oder das Motto "Bürger ans Netz". Sondern da geht es darum, wirkliches Verstehen zu erzeugen, Zusammenhänge aufzuzeigen. Das ist ein ganz wichtiges Ziel meiner Arbeit, dass wir zu einem "capable citizen" oder "capable consumer" kommen.

STANDARD: Wie kann man sich aktiv einbringen?

Maier-Rabler: Da hat das Bildungssystem eine große Aufgabe. Bei uns gibt es immer noch stark von oben nach unten organisierte Informationsströme. Wissen wird konsumiert und bei Prüfungen wiedergegeben, anstatt dass man die Recherche und das neugierig sein, das Informationen suchen und das Von-selbst-aktiv-Werden ins Zentrum stellt.

STANDARD: Darauf basiert eigentlich das ganze System Internet.

Maier-Rabler: Ja, das Internet ist in einer Fragekultur entstanden. Wenn es diese nicht gegeben hätte, würde es das Internet nicht geben. Man braucht Leute, die etwas wissen wollen und die diese Technologie anwenden, um diese Neugier zu befriedigen. Wir hier sind hingegen so etwas wie eine Antwortkultur. Aber wenn wir versuchen, im Internet Antworten zu finden, ist das eine vorprogrammierte Enttäuschung.

STANDARD: Wird sich das Bildungssystem in die von Ihnen skizzierte Richtung entwickeln können?

Maier-Rabler: Es muss, anders geht es nicht. Wissen wird künftig gemeinsam zwischen Lehrenden und Lernenden angeeignet. Dieses ,Ich weiß etwas, und das erzähl ich euch jetzt' wird sich aufhören. Dazu entwickeln sich die Informationen zu schnell.

STANDARD: Wird es auch in anderen Lebensbereichen entsprechend radikale Veränderungen geben?

Maier-Rabler: Ja, auch in der Arbeitswelt. Man wird zunehmend an Arbeitsprojekten arbeiten. Auch Unternehmen werden zu Projekten. Die können an einem Ort angesiedelt sein oder globale Projekte sein. Es wird aber trotzdem ein stabiles Element brauchen. Und das wird etwas anderes sein müssen als das 25-Jahre-Betriebszugehörigkeitsdokument. Auch hier geht es wieder um den "capable"-Menschen: Je mehr ich die komplexen Zusammenhänge verstehe, desto leichter werde ich mir tun, mir meine Welt zusammenzuzimmern. (Karin Moser / DER STANDARD Printausgabe / 06.12.2004)