Stockholm - Ausgerechnet dadurch, dass sie nicht da war, stand Elfriede Jelinek bei ihrer Nobelpreisvorlesung dreifach "Im Abseits": Über drei Leinwände wurde die Rede der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin in der festlichen gestimmten Bibliothek der Schwedischen Akademie in Stockholm vorgeführt. Das Manuskript zu ihrer rund 50-minütigen Rede über den Verlust der Sprache und die Position des Schriftstellers hatte Jelinek bei der Videoaufzeichnung durch das schwedische Fernsehen auf einen Notenständer gelegt - eine Betonung des musikalischen Charakters des Vortrags, der durch die übergroße, raumfüllende Präsenz der abwesenden Autorin auf den Leinwänden zusätzliches Gewicht bekam. Am Ende gab es höflichen, eher kurz angebundenen Applaus - der direkt in interessierte Diskussionen mündete.

Mit ineinander verkrallten Händen, fast bewegungslos und nur selten den Blick direkt in die Kamera richtend, vor blauem Hintergrund in ihrem Haus in Wien las Jelinek ihren Text, indem sie intensive Verlustempfindungen gegenüber ihrer Sprache artikuliert, Politisches hingegen so gut wie vollständig ausklammert. Es ist eine Rede einer Autorin über den Kampf und die innere Niederlage mit der übererfolgreich gewordenen und nun sogar Nobelpreis-gewürdigten Sprache geworden - sowie über die Enttäuschung über die Reaktionen der anderen auf ebendiese Sprache, seien es die Lobpreiser, seien es die Verdammer.

Ebenso groß wie die Erwartungslücke, die das fehlende Politische lässt, ist in dem festlichen Rahmen die andere große Auslassung der Rede spürbar geworden: Mit keiner Silbe geht Jelinek auf den Nobelpreis ein oder auf ihre Leistungen als Autorin. Jelinek vollzog im grellen Rampenlicht der Weltöffentlichkeit das Gegenteil von Selbstlob, die Selbstverkleinerung, bis zur Spitze. Und das an der alljährlichen Spitzenposition der Literatur.

Im Stockholmer Alltag scheint der Literaturnobelpreis indes zum Auftakt der Nobelpreisreden durch Jelinek nicht unbedingt allgegenwärtig zu sein. Im Stadtbild und nicht einmal in der unmittelbaren Umgebung der Alten Börse, wo die Schwedische Akademie residiert, waren Hinweise auf das heutige Event zu sehen. Ihren Weg in die Bibliothek fand ein gemischtes, den unterschiedlich schrumpfenden Manuskriptstapeln der viersprachig (Deutsch, Schwedisch, Englisch und Französisch) aufliegenden Reden nach zu urteilen vorwiegend Stockholmer Publikum.

Für den Permanenten Sekretär der Schwedischen Akademie, der alljährlich den Nobelpreisträger verkündet, war die heutige Leinwand-Vorführung eine "schöne Lösung", so Horace Engdahl im Gespräch über die Rede, die ausschließlich auf Deutsch und ohne Untertitel gezeigt wurde. Dass so manches von Jelineks zahlreichen Wortspielen in der schwedischen Übersetzung für das ansässige Publikum verloren gegangen sein könnte, ficht Engdahl nicht an: Die Rede ist "auf Klängen und fast musikalischen Themen aufgebaut", so der Permanente Sekretär, der am 17. Dezember Jelinek den materiellen und nicht pekuniären Teil des Nobelpreises (eine Medaille und eine Urkunde) in Wien überreicht. "Das war auch für nicht Deutschsprachige herauszuhören. Diese Rede war sicher leichter anzuhören als zu lesen. Ich habe es so auch viel besser verstanden", so Engdahl, der "voller Verständnis" für Jelineks Nichterscheinen ist.

"Was bleibt einem also übrig", schließt Jelinek. Die Antwort, was ihr persönlich nach der höchsten Auszeichnung der Literaturwelt außer dem ungewollten Rampenlicht übrig bleibt, gibt sie nicht. Auf jeden Fall ist Jelinek mit der heutigen Rede auch in der Stockholmer Realität der Nobelpreisträger angekommen. (APA)