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Matthias Wissmann, seit 1976 CDU-Bundestagsabgeordneter

Foto: APA/EPA/Chema Moya
Standard: Was erwarten Sie von Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel als Koordinator für die Türkei-Frage in der Europäischen Volkspartei? Wissmann: Die gemeinsame Mehrheitsmeinung der EVP in einen Beschluss beim Gipfel am 17. Dezember zu gießen.

Standard: Was heißt Mehrheitsmeinung? Keine Vollmitgliedschaft für die Türkei?
Wissmann: Das heißt, einen ergebnisoffenen Beschluss beim EU-Gipfel zu erzielen. Ergebnisoffen heißt, dass auch die Alternative einer privilegierten Partnerschaft in Verhandlungen besprochen wird und nicht nur die Option einer Vollmitgliedschaft. Wir ziehen jede andere Form der Partnerschaft einer Vollmitgliedschaft vor.

Standard: Was spricht gegen eine Vollmitgliedschaft?
Wissmann: Wir haben nicht etwas gegen die Türkei, sondern wir sind der Meinung, dass die Union kaputtzugehen droht, wenn man sie überdehnt. Wenn man sie so groß macht, dass sie nicht mehr regierbar ist, nicht mehr effizient sein kann. Die Türkei wäre bald das größte Land der Union und würde die Architektur der EU völlig verändern. Man sollte sowohl über die Option einer Vollmitgliedschaft wie auch über die Option einer privilegierten Partnerschaft mit den Türken verhandeln. Wenn das Teil des Beschlusses vom 17. Dezember wird, kann die CDU/CSU damit gut leben. Wenn nur auf die Vollmitgliedschaft hin verhandelt wird, wird es keine Rückendeckung der CDU/CSU finden.

Standard: Was bedeutet privilegierte Partnerschaft konkret?
Wissmann: Das heißt, weitestgehende Integration in der Außen- und Sicherheitspolitik, Ausdehnung der Zollunion zu einer umfassenden Freihandelszone mit Ausnahme des Arbeitsmarktes, aber nicht Teilnahme an der Regional-und Strukturpolitik. Das heißt auch nicht Teilnahme an den Agrarfonds.

Standard: Sehen Sie Österreich als Speerspitze jener EU-Staaten, die eine Mitgliedschaft ablehnen?
Wissmann: Ich glaube, wenn der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, den wir sehr achten und respektieren, hier eine kluge und klare Verhandlungsposition bezieht, wird er Unterstützung bekommen aus Ländern, aus denen das bisher gar nicht erwartet wurde.

Standard: Zum Beispiel?
Wissmann: Aus Frankreich. Letzte Äußerungen Präsident Jacques Chiracs sprechen dafür, dass auch er die Option einer privilegierten Partnerschaft unterstützt. Dem könnten sich andere anschließen.

Standard: Wer? Wissmann: Ich glaube, dass viele der kleineren Länder folgen werden in dem Moment, wenn aus Österreich und Frankreich ein Signal kommt. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2004)