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Straßenszene in Damaskus: Vater und Sohn Assad sind nach wie vor Verkaufsrenner in der syrischen Hauptstadt. Aber unter Bashar scheint Syrien doch langsam einen anderen Weg einzuschlagen.

Foto: APA/EPA/Mounzer
In Syrien geschehen seltsame Dinge. Ausgerechnet in der Tageszeitung Tishreen, dem ideologischen Aushängeschild des Regimes, zieht ein Systemkritiker, der unliebsame Bekanntschaft mit dem Geheimdienst gemacht hat, einen anderen durch den Kakao, der nach Festnahme und Freilassung öffentlich beteuert hatte, wie gut er während seiner Haft behandelt wurde: Bei ihm war es hingegen kein Fünfsternehotel, ätzt der Schreiber. Ein absoluter Tabubruch, in Mainstream-Medien so etwas zu erwähnen. Aber wenn man Informationsminister Mahdi Dakhl Allah glauben will, dann ist das jetzt eben so - und erst am Dienstag wurden wieder 112 politische Gefangene begnadigt. "Wir wollen Meinungsfreiheit", sagt er zum STANDARD.

Der Hintergrund des erst kürzlich ernannten Dakhl Allah - er war früher Chef der Parteizeitung Baath - erscheint auf den ersten Blick wenig inspirierend, was die Aussicht auf einen Pressefrühling im Damaszener Winter anbelangt. Trotzdem kommt Ibrahim Hamidi, Bürochef von al-Hayat in Syrien, dessen Prozess vor dem Staatssicherheitsgericht noch immer anhängig ist - er hat zu Beginn des Irakkriegs über einen Notfallsplan der Regierung geschrieben -, fast ins Schwärmen: Der Mann ist ganz anders als die früheren.

Zumindest macht Dakhl Allah seiner Regierung PR-mäßig Beine: So gibt es jetzt nach dem Ministerrat Pressebriefings. Allerdings kritisieren manche, dass die Veränderungen, besonders im TV, eher optischer Natur sind. Die Formate sind moderner, die Inhalte haben sich nicht wirklich geändert.

Dakhl Allah hat sich als Vordenker einer Baath-Parteireform, die auch eine Absage an den Panarabismus enthält, ins Gespräch gebracht: Zurück zu den Wurzeln, ist seine Devise, die Baath könnte eine ganz normale sozialdemokratische Partei sein. Nur die äußeren Umstände hätten die Baath-Partei - und das ganze Land - auf den Weg gezwungen, den sie in den vergangenen Jahrzehnten genommen haben: der "Weltkrieg, der sich in unserer Region abspielt", Wirtschaftsboykotte, die eine strenge Staatsökonomie erzwangen, "die große terroristische Kampagne der Muslimbrüder" um 1980, die Syrien zu einem "Sicherheitsstaat" machte. "Unsere Wirtschaft war immer eine Krisenwirtschaft, unser Staat ein Krisenstaat", sagt Dakhl Allah, "aber das ist nicht in der Baath-Ideologie begründet."

Das Wort "Israel" kommt in diesen Tagen in Gesprächen mit Offiziellen nur am Rande vor, manchmal gar nicht. Man will das Bild Syriens aus dem Kontext des Konflikts mit Israel, in dem es im Westen ausschließlich gesehen wird, befreien: Es gibt noch ein anderes Syrien, ist die Botschaft. Warum man das alles gerade jetzt tut, ist es der Druck von außen? Irrtum, die Entscheidung für den Wandel wurde "eineinhalb Jahre vor 9/11" getroffen, sagt Dakhl Allah: Das fiele dann in die Zeit um den Tod von Präsident Hafiz al-Assad zu Pfingsten 2000. Dessen Sohn Bashar hatte ja gleich nach Amtsantritt einen "Damaszener Frühling" zugelassen; die Reformbewegung, an deren Spitze die Zivilgesellschaft stand, wurde jedoch nach wenigen Monaten gestoppt. Den damals befürchteten Kontrollverlust glaubt man wohl jetzt mit mäßiger syrischer Perestrojka von oben vermeiden zu können.

Aber wenn das offizielle Syrien heute den Eindruck vermittelt zu wissen, wo es langgeht, so trifft man bei den Menschen auf große Unsicherheit: Die jetzt in Syrien üblichen Fragen wie etwa "Wo ist in diesem Lande das Zentrum der Macht?" werden von jedem anders beantwortet: "Der Präsident", sagt ein Journalist, ein anderer Befragter nennt ein politisches "Kollektiv", die Wirtschaftsmafia, sagt unverblümt ein anderer.

Die größte Unsicherheit herrscht aber in Bezug auf die Pläne der anderen: "Was glaubst du, was die USA mit uns vorhaben", wird man ständig gefragt. Die US-Überdehnung im Irak wird mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, andererseits verspürt fast jeder hier blanke Angst angesichts eines möglichen islamistischen Spillover nach Syrien: Noch hält man die Fahne der Säkularität hoch. Aber auch Syrien ist islamischer geworden.

Einer der gefragtesten Gesprächspartner für Ausländer in Syrien ist Abdallah Dardari, Anfang vierzig, Chef der "Staatlichen Planungskommission" im Ministerrang. Was mit so einem sowjetisch anmutenden Namen daherkommt, ist heute vielleicht der dynamischste Ort im offiziellen Syrien. Die Abschaffung seiner Arbeitsstelle sei eines der Ziele seiner Arbeit, lacht er. Dardari ist vom Präsidenten beauftragt, Syrien auf den Weg der Marktwirtschaft zu führen. Aber "manchmal sind Ideen schneller als Bürokratien", sagt er zum STANDARD.

Zu Beginn seiner Arbeit sei er sich vorgekommen wie - so geht ein Witz - der ägyptische Staatschef Nasser, der nach dem Sechs-Tage-Krieg seiner Armee verkündete, man werde den Suezkanal überqueren, Israel besiegen und den Sinai und Jerusalem befreien. "Hat der Mann noch eine andere Armee als diese?", wundert sich ein kleiner Soldat.

Auf die Frage nach der Rolle der Partei bei der Wirtschaftsreform kommt erst einmal ein Seufzen: Er selbst sei ja kein Parteimitglied, aber klar, die Partei gebe die Richtlinien vor. An und für sich. Jetzt sei es aber anders: "Wenn ich sage, ich entwickle eine Marktwirtschaft, kann ich eigentlich im Gefängnis landen, denn das ist gegen unsere Verfassung als sozialistisches Land." Aber der Präsident, der ihm die Direktiven gegeben habe, sei eben gleichzeitig auch der Generalsekretär der Partei. In einer Übergangszeit komme die Politik vor dem Text.

Wieder seufzt Dardari, als er auf Korruption und "Beziehungen zwischen Geschäft und Politik" angesprochen wird: Ja, Korruption behindere Wachstum, ja, die erwähnten Verbindungen behindern den Wettbewerb innen und die Wettbewerbsfähigkeit Syriens nach außen. Gegen diese Folgen habe er anzukämpfen. Aber "die legale und die politische Seite liegen außerhalb der Domäne dieses Hauses". (DER STANDARD, Printausgabe, 9.12.2004)