Wer wie Günther Hanreich aus einer Höhe von über zwei Metern auf die Welt blickt, kann über Zores erhaben sein. Wut ist dem Lulatsch fremd, heitere Gelassenheit und Wiener Schmäh statt Wiener Grant seine permanente Grundstimmung. Die Eigenschaft wird der 50-Jährige brauchen: Er übernimmt als Chef der Statistikbehörde ein Krisenamt in der EU.

Der Skandal um Griechenland erschüttert Eurostat, das als Autorität ein unangekratztes Renommee brauchen würde: Jahrelang hat Athen falsche Budgetzahlen geliefert, sich den Euro erschwindelt - ohne dass das Eurostat aufgefallen wäre. Auch Italien steht im Verdacht, die Behörde erfolgreich beschummelt zu haben. Damit wurde der Ruf von Eurostat weiter ramponiert - dabei hatte sich die Statistikbehörde noch gar nicht vom großen Skandal Mitte 2003 erholt: Damals musste Direktor Yves Franchet wegen unsauberer Abrechnungen gehen.

Organisieren und motivieren

Hanreichs schwere Aufgabe lautet, Eurostat besser zu or- ganisieren, das Image wieder aufzupolieren und die 730 Mitarbeiter zu motivieren. Die Voraussetzungen dafür hat er: Seine Kollegen schwärmen von seinem teamfähigen Führungsstil. Der neue Job bedeutet für den gelernten Bauingenieur nicht nur eine Übersiedlung nach Luxemburg, sondern auch inhaltlichen Neustart: Bisher war sein Berufsleben dem Verkehr gewidmet.

Aus dem Kuratorium für Verkehrspolitik wechselte der zweifache Vater in die Politik und ins Kabinett von Verkehrsminister Rudolf Streicher. Bald avancierte er zum Leiter der Sektion Verkehrspolitik - und verhandelte gemeinsam mit Minister Viktor Klima den Transitvertrag. Diese Gespräche bei den Beitrittsverhandlungen Österreichs weckten sein EU-Interesse: 1996 zog es Hanreich nach Brüssel, er werkte als Direktor für Landverkehr in der EU-Kommission, nach einem Zwischenspiel in der Energiepolitik beschäftigte er sich zuletzt mit Transeuropäischen Verkehrsnetzen. Beruflich.

Privat gehört Hanreichs große Liebe der Musik und dem Theater: Gemeinsam mit seiner Frau absolvierte er eine Schauspielausbildung und feierte im Wien-Haus in Brüssel große Erfolge mit seinen Karl-Kraus-Lesungen und Kabarettabenden.

Nicht nur als Weinkenner hält Hanreich es mit den Roten. Dennoch hat sich Kanzler Wolfgang Schüssel für den Aufstieg eingesetzt: Bessert doch Hanreich die dürftige Österreich-Bilanz in der Kommission auf. Er ist erst der Zweite, der den Sprung in die Beamtenspitzenklasse schafft. Vor ihm avancierte nur Edith Kitzmantel zur Generaldirektorin: Sie ist allerdings ausgeschieden, als ihr Posten in der Rechnungsprüfung aufgelassen wurde. Damit wird Hanreich ranghöchster österreichischer Beamter in der Kommission - größter war er schon länger. (Eva Linsinger, Der Standard, Printausgabe, 10.12.2004)