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The Palm Nr. 1, eine der künstlichen Inseln vor Dubais Küste

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Zwei Uhr nachts am Persischen Golf. Im Hotelsatellitenfernsehen sind gerade die Abendnachrichten auf RTL zu Ende gegangen, in denen über Herbststürme in Österreich berichtet wurde. Da die Zeitverschiebung nur zwei Stunden beträgt, ist der Tagesrhythmus, den das Fernsehprogramm vorgibt, nur ein unwesentlich anderer. Erst wenn man auf die Idee kommt, vor dem Schlafen noch kurz Luft zu schnappen, das Schiebefenster öffnet und sofort die schwüle Hitze spürt, ist wieder klar, wo man sich befindet.

Oder ist alles nur eine Fata Morgana? So jedenfalls muss das heutige Dubai jemandem erscheinen, der zuletzt vor zwanzig oder auch nur zehn Jahren das Emirat besucht hat. Wo jetzt die Hotelanlage des "One&Only Royal Mirage" sich mit Palmen über den feingetrimmten englischen Rasen erhebt, der mit unterirdischen Schläuchen vor dem Hitzetod bewahrt wird, dort war bis vor Kurzem nur Sand.

Immerhin hat der Komplex seine Architektur aus arabischen Kulturkreis geborgt, was den Anschein erweckt, es habe ihn schon immer gegeben. Doch in der Fotogalerie prominenter Besucher zählt ein Bild von Claudia Schiffer am Pool zu den ältesten Stücken.

In Sichtweite des Fünf-Sterne-Hotels erhebt sich eine weitere Fata Morgana aus dem Dunst, das "Burj al Arab", mit dem sich Dubai quasi über Nacht auf die Karten der weltweit umherziehenden Reiselustigen und Luxussüchtigen gesetzt hat.

Wer an Dubai denkt, hat der Welt einziges Sieben-Sterne-Hotel vor Augen, von außen ein technoides Zwitterwesen aus geblähtem Segel und Raketenabschussrampe, innen aber ein schwüler Traum aus Gold, kräftigen Farben und wuchernden Ornamenten.

Doch das "Burj al Arab" war erst der Anfang. Zwei künstliche Inseln in Form eines Palmblatts, die größte Indoorski-Piste der Welt, ein Unterwasserhotel, ein neuer Flughafen mit sechs parallelen Bahnen - wenn Dubai etwas anpackt, dann muss es den Stempel "Neues Weltwunder" tragen, mindestens.

Sind der Herrscherfamilie die Sicherungen durchgebrannt? Weiß Seine Hoheit Sheikh Maktoum bin Rashid Al Maktoum, der Emir von Dubai, etwa nicht mehr, wohin mit seinen Petro-Dollars, und verpulvert sie in Bauwerke, die noch in Jahrhunderten vom Ruhm der Dynastie zeugen werden? Weit gefehlt.

Schon bei der Fahrt vom Flughafen über die sechsspurige Stadtautobahn Richtung Osten wird deutlich, dass hinter den kommenden Weltwundern ein prächtig brummendes Wirtschaftswunder steht. Die spektakulären Projekte sind nur die Sahnehäubchen in einer Baustellenlandschaft, die sich kilometerweit entlang der Küste erstreckt. Alle internationalen Konzerne haben hier ihre Quartiere aufgeschlagen, wo sich bis vor ein paar Jahrzehnten noch die Kamelherden herumtrieben und die Perlenfischerei für bescheidenen Wohlstand sorgte.

Jetzt schießen dort Hochhäuser in die Luft, viel schneller und in größerer Zahl als in den Sechzigerjahren, der Zeit des Ölbooms. Statt auf Bodenschätze setzt Dubai seit etwa fünfzehn Jahren auf Touristenscharen, vor allem aber darauf, im Netz der globalen Handelsströme eine äußerst lukrative Mittelposition zu besetzen. Die Flugzeiten in Richtung Europa und Asien sind etwa gleich kurz. Vor allem aber ist Dubai einer der wenigen Standorte in der Golfregion, die ein liberales und stabiles Umfeld für Investitionen bieten. Arbeitskräfte und Firmen werden mit einem Steuersatz von null Prozent angelockt. Viele Unternehmen lenken von Dubai aus ihre Aktivitäten im Mittleren Osten oder in Afrika. Der Ehemann der schwäbelnden Stadtführerin beispielsweise arbeitet für ein deutsches Automobilunternehmen und ist permanent unterwegs. Wenn etwa in Teheran Probleme mit der Bordelektronik einer Limousine auftreten, die vor Ort nicht gelöst werden können, dann steigt er ins Flugzeug.

18 Millionen Passagiere wurden im Jahr 2003 an Dubais Flughafen abgefertigt, Tendenz steil ansteigend. Auch die Bevölkerungszahl schnellt in die Höhe. Momentan hat Dubai 1,2 Millionen Einwohner, davon sind 80 Prozent Ausländer: Geschäftsleute, Büroangestellte und Hotelpersonal aus allen Ländern der Welt und viele, viele Bauarbeiter. Im Jahr 2010, so die Prognose, werden fünf Millionen Menschen in Dubai leben und arbeiten.

Die Zahl der Touristen soll sich ebenfalls vervielfachen. Platzprobleme sind nicht zu erwarten. Nicht etwa, weil noch genug Wüstenfläche vorhanden ist. Dort ist zwar mit dem Ressort "Al Mahal" ein traumhaft schönes Refugium für die einsame Zweisamkeit in kleinen Bungalows mit eigenem Swimmingpool entstanden, aber die meisten zieht es an den Strand.

Also war es fast nahe liegend, die Küstenlinie mit zwei künstlichen Inseln einfach zu verdoppeln. Nach 72 Stunden waren die Grundstücke auf "Palm 1" bereits ausverkauft. Nur auf der zweiten, deutlich größeren Palmeninsel kann derzeit noch Bauland erworben werden, ebenso auf "The World", einer Gruppe künstlicher Inseln in Form der Weltkarte. Die Preise sind moderat im Vergleich zu einer Villa in einer Wiener Nobelgegend.

Aber was macht Dubai bloß so attraktiv? Abgesehen davon, dass es ein guter Ort ist, um Geschäfte zu machen? Das Klima ist in den Sommermonaten bis weit in den Oktober hinein eigentlich zu heiß und feucht, um sich lange außerhalb von klimatisierten Gebäuden oder Fahrzeugen aufzuhalten. Die Lufttemperatur liegt bei rund 35 Grad, das Meer ist kaum kühler. An den Stränden hält sich deswegen fast niemand auf, die Hotelpools hingegen werden abgekühlt.

In den Wintermonaten aber sinkt das Thermometer auf das Niveau eines prächtigen mitteleuropäischen Sommertages. Trotzdem sind die Hotels das ganze Jahr über nahezu ausgebucht, obwohl fast alle Häuser einen vier- bis fünfsternigen Komfort mit entsprechenden Preisen bieten.

Dubai hat nicht die Billigreisenden im Visier. Und genau das dürfte der Grund sein, warum das Reiseziel in den vergangenen Jahren so beliebt geworden ist. Mit Ausnahme der reinen Businesshotels setzen die meisten Anlagen auf eine mehr oder weniger schwüle arabische Atmosphäre, in der sich ein Europäer sofort in eine geheimnisvoll-luxuriöse Märchenwelt versetzt fühlt. Nichts ist hier wirklich echt, aber selbst die (zahl-)reichen Gäste aus der Region, die ja wissen müssten, wie arabische Architektur wirklich aussieht, scheint es nicht zu stören, dass die orientalischen Hotelpaläste auf den Computern zumeist britischer Architekturbüros erfunden wurden.

Was aber keineswegs bedeutet, dass die Mischung aus Hongkong-Skyline und Themenwelten à la Las Vegas nicht auch ihre ganz speziellen Reize hat. Nirgendwo sonst ist der Müßiggang so abwechslungsreich. Vom altenglischen Five o'Clock Tea in der Hotellobby, über den Einkaufsbummel in den einmal historischen, einmal nachgebauten Souks oder einer Shoppingmall bis hin zum Wüstenausflug mit Allradantrieb oder Kamel lässt sich genug Zerstreuung finden, um selbst in den Sommermonaten der Hitze zu entgehen. (Der Standard/rondo/10/12/2004)