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Sollte es sich bei der Erkrankung Juschtschenkos tatsächlich um eine Chlorakne handeln, könne die Heilung noch Monate dauern, so der behandelnde Arzt. Manchmal ist eine Heilung gar unmöglich.

Foto: AP Photo/Alexander Zemlianichenko
Kiew/Wien - "Wir können eine Vergiftung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf keinen Fall ausschließen". Mit diesen Worten kommentierte der ärztliche Leiter des Wiener Rudolfinerhauses, Michael Zimpfer, Freitag Abend gegenüber der APA den Gesundheitszustand des ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko. "Wir testen alle Möglichkeiten ab", sagte Zimpfer. "Wenn es ein Gift ist, das länger im Körper bleibt, dann werden wir es finden."

Ergebnisse Mitte nächster Woche

Zimpfer erwartet die Ergebnisse der Untersuchung Anfang bis Mitte nächster Woche. Er wisse noch nichts davon, dass Juschtschenko selbst Proben nach Wien mitgebracht habe. "Wir nehmen die Proben hier selbst ab. Wir fangen jetzt in der Nacht mit nuklearmedizinischen Maßnahmen an und machen Untersuchungen, die die Funktionen des Nervensystems darstellen werden. Dann machen wir die kompletten bildgebenden Analysen, die die inneren Organe und den Status des Bewegungsapparates zeigen. Und natürlich jede Menge Blut- und Harnuntersuchungen."

Selbst im Falle einer Vergiftung könne es sein, dass ein Giftnachweis nie erbracht werde, weil der Patient im September erst Tage nach dem Auftreten seiner Symptome nach Wien gekommen sei, sagte Zimpfer. Es gebe aber auch Gifte, die sehr lange im Körper verblieben und die dadurch nachweisbar seien. "Es gibt auch Gifte, die eine Antikörperreaktion auslösen, die man auf diesem Weg erwischen kann."

Auf die Frage, ob Juschtschenko wieder gesund werde und ob sich eine allfällige Chlorakne jemals wieder normalisiere, sagte der Mediziner: "Wenn es eine Chlorakne ist, das heißt eine durch Dioxin ausgelöste Hautveränderung, dann kommt es in der überwiegenden Zahl der betroffenen Patienten zu einer allmählichen Abheilung, wobei das aber sehr lange dauern kann - sprich zwei bis drei Jahre, oder unter Umständen mehr."

Juschtscheno geht von Vergiftung aus

Zuvor hatte der ukrainische Präsidentschaftskandidat auf einer Pressekonferenz in Kiew bekräftigt, dass er seine Erkrankung nach wie vor auf eine Vergiftung zurückführt. Es sei "zweifellos geplant gewesen, mich zu ermorden", sagte der Oppositionspolitiker.

Neue Blutanalysen des 50-Jährigen haben den Ärzten dabei Indizien für einen solchen Anschlag erbracht. "Die Ergebnisse erhärten unseren Verdacht auf Dioxinvergiftung noch mehr", erklärte der behandelnde Arzt Nicolai Korpan gegenüber dem Standard.

In Wien sollen Juschtschenko nun Gewebeproben entnommen werden. Der medizinische Nachweis eines Mordanschlags auf den Oppositionsführer wäre ein weiterer Schlag gegen das Regime des scheidenden ukrainischen Staatschefs Leonid Kutschma und des Präsidentschaftskandidaten der Regierung, Viktor Janukowitsch. Am 26. Dezember wird die Stichwahl zwischen Janukowitsch und Juschtschenko wiederholt.

Chlorakne

Das klinische Bild entspricht dem Beispiel aus einem Medizinlehrbuch: Entzündung in Magen, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse und Ohr, Leberschwellung und Lähmungen eines Gesichtsnervs. Nicht zu vergessen die sichtlich zunehmende Vernarbung von Viktor Juschtschenkos Gesicht, die stark auf Chlorakne des ukrainischen Oppositionsführers hindeutet - alles typische Symptome einer schweren Dioxinvergiftung. Eine Diagnose wollen seine behandelnden Ärzte im Wiener Rudolfinerhaus jedoch nicht stellen.

"Noch nicht", sagte Nikolai Korpan, der Juschtschenko sowohl im September als auch im Oktober in Wien untersucht hatte: "Das ganze ist nicht nur medizinisch hoch brisant, sondern auch politisch und kriminalistisch. Da müssen wir mehr als hundertprozentig sicher sein", erklärte der Arzt das für eine Vergiftungsdiagnose mit Dioxin ungewöhnlich lange Warten: "Wir brauchen noch einige Gewebeproben von ihm, dann dauert es nur noch ein paar Tage bis zur endgültigen Diagnose." Blut, das dem Patienten in Wien entnommen wurde, sei inzwischen analysiert worden. "Und die Ergebnisse erhärten unseren Verdacht auf Dioxinvergiftung noch mehr."

Medienberichten zufolge wollte Juschtschenko eben für diese letzten Gewebeentnahmen noch am Freitagabend in Wien eintreffen. Was aber am Nachmittag weder von Korpan noch von Michael Zimpfer, dem Chef des Rudolfinerhauses, bestätigt wurde. Aber auch nicht dementiert. Die Frau des fünffachen Vaters, Katarina Juschtschenko, behauptete unterdessen gegenüber dem US-Sender ABC, sie habe vor Wochen ganz deutlich Gift geschmeckt, als sie ihren Mann geküsst habe. Und am nächsten Tag hätten die Probleme begonnen.

Fünf heimische Fälle

"Und die können bis zum Tod führen", erklärte Bertold Jäger, Arbeitsmediziner der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in Wien, der sich vor einigen Jahren mit fünf extrem schweren Fällen von Dioxinvergiftungen in Österreich befasst hatte - und für die sich auch der US-Geheimdienst CIA interessiert hätte. Denn als Biowaffe sei Dioxin durchaus tauglich, sagte Jäger mit Hinweis auf den Vietnamkrieg. Das dort von US-Truppen eingesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange ist dioxinhaltig gewesen und hat nicht nur an der Flora nachhaltigen Schaden angerichtet.

Spätestens aber nach dem Chemieunfall 1976 im italienischen Seveso weiß man um die Gefährlichkeit des Giftes. Dioxin ist der Sammelbegriff für mehrere Dutzend toxischer Stoffe, die bei der Produktion und Verarbeitung von chlororganischen Verbindungen etwa für Insektizide und Herbizide abfallen und auch bei der Verbrennung von Holz und Müll entstehen können. Dioxin ist 500 Mal giftiger als Strychnin, 10.000 Mal giftiger als Cyanid und eines der stärksten Krebsauslöser.

Neben Tumoren, Atembeschwerden und Organschäden führt es zu meist irreversiblen Hautnarben, der Chlorakne. Die entstünde laut Jäger dadurch, dass der Körper das Gift über die Talgdrüsen ausscheidet, wodurch die Drüsen zunächst entzündet, schließlich zerstört würden. Vergiftete Patienten schieden Dioxin über alle Körperflüssigkeiten aus, in denen Fette vorhanden sind. Zum Beispiel Schweiß. Da sich Dioxin primär in Körperfetten ablagert (Blut und anderen fetthaltigen Geweben) und eine Halbwertszeit von fünf bis zahn Jahren habe, sei es schnell und leicht nachweisbar. Eben über Bluttests. (red/DER STANDARD, Printausgabe, 11.12.2004)