Rein oberflächlich wirkt Ernst Strassers Rücktritt schlüssig. Die plausibelste Reform seiner Amtszeit, nämlich die Zusammenführung von Polizei und Gendarmerie, wurde vom Nationalrat am Donnerstag beschlossen. Ein guter Zeitpunkt für den 48-Jährigen, die Politik an den Nagel zu hängen. Ohne befördert oder verschoben zu werden.

Das ist aber alles an Schlüssigkeit. Nach eigener Aussage hat das Ehepaar Strasser den Rückzug "im Frühsommer" beschlossen. Warum hat er den Regierungschef erst jetzt informiert? Am Donnerstag um 17.30 Uhr traf Wolfgang Schüssel auf dem Ballhausplatz Chefredakteure österreichischer Zeitungen und Magazine zu einem Hintergrundgespräch. Es dauerte bis gegen acht. Erst danach erfuhr der Kanzler vom Rücktritt Strassers aus dessen Munde. Die Überraschung muss groß gewesen sein, denn Schüssel ist im eigenen Bereich ein Mann der präzisen Planungen und Realisierungen. Seine Verärgerung lässt sich an der Weigerung ablesen, Strasser, wie von diesem angeboten, bis Jänner im Amt zu belassen.

Schließlich: Warum erfolgt dieser Rücktritt mitten in einer veritablen Ressortkrise, nämlich der des Verteidigungsministeriums?

Die Opposition hat daher nicht Unrecht, wenn sie von einer "Regierungskrise" spricht. Sicher ist jedenfalls, dass Strasser den Bundeskanzler in schwere Turbulenzen gestürzt hat. Sonst hätte er nicht diese Doppelministerschaft im Parlament als "vorübergehend" bezeichnet. Womit Platters Ministerschaft überhaupt infrage steht. Denn der so genannte Folterskandal im Bundesheer betrifft auch die Ministerverantwortlichkeit.

Das Krisenmanagement Platters im Moment des Auftauchens der ersten Vorwürfe war nicht schlecht. Aber dass dem Minister die Dienstanweisung für "Geisel-Übungen" nicht bekannt war, disqualifiziert ihn. Wenn ein Ressortchef das nicht weiß, hat er seinen Apparat nicht im Griff. Was die Zweifel nährt, ob ein Mann mit einer so schwachen internen Autorität eine Heeresreform durchziehen kann.

Die ist überfällig. Und die momentan diskutierte Teilreform eine Episode. Österreichs Politik müsste Farbe bekennen und die allgemeine Wehrpflicht abschaffen. Die künftigen Bedrohungsszenarios sind im Verein mit den europäischen Optionen nur von einem kleinen Berufsheer zu bewältigen. Ganz abgesehen von der Notwendigkeit neuer Schulungskonzepte: Wenn Ausbildner Übungen mit Folter verwechseln, dann sind nicht nur die "schwarzen Schafe" im Spiel, sondern falsche Lehr- und Führungsstrukturen.

Wolfgang Schüssel ist zum ersten Mal an der Regierungsspitze mit einer hausgemachten, in der eigenen Partei entstandenen Krise konfrontiert. Denn auch die unter Dauerkritik stehende Elisabeth Gehrer lobt er (wie Platter) in höchsten Tönen, um zumindest in den eigenen Reihen keine Missstimmung aufkommen zu lassen. Was macht er jetzt?

Vieles ist möglich. 1. Platter wird Innenminister, ein anderer übernimmt die Verteidigung. 2. Ein Neuer geht in die renovierte Herrengasse, Platter bleibt beim Heer. 3. Innen- und Verteidigungsministerium werden unter Platter zu einem "Sicherheitsministerium" zusammengelegt. Das hatte Jörg Haider Mitte der

90er-Jahre gefordert. 4. Nichts davon passiert, neue Köpfe für beide Ministerien. 5. Schüssel plant über Weihnachten eine größere Umbildung.

Wenn Wolfgang Schüssel das politische Glück nicht verlässt, übersteht er die Turbulenzen ohne Schrammen. Umso mehr als er der erste Parteiobmann seit Jahrzehnten ist, der fest im Sattel sitzt und dessen Entscheidungen ohne Widerspruch akzeptiert werden. Selbst die Freiheitlichen benehmen sich wie ein Flügel der ÖVP: Forderungen nach einem FPÖ-Innenminister wurden wegen einer Schüssel-Rüge sofort abgeschwächt.

Deshalb wird der Regierungschef auch an seinem Fahrplan festhalten. Jubiläumsjahr 2005, EU-Präsidentschaft erstes Halbjahr 2006, Nationalratswahlen im Herbst. (DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.12.2004)