Für die Anhänger des ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Viktor Juschtschenko war von Anfang an klar, dass dieser vergiftet worden ist. "Die sind zu allem fähig", hat es in der Ukraine in den vergangenen Monaten immer wieder geheißen. Dass der Politiker unmittelbar nach einem Abendessen mit dem Chef des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Ihor Smeschko, und dessen Stellvertreter Wolodymyr Stasiuk am 5. September erkrankte, galt als hinreichender Beweis.

Smeschko wollte den Oppositionspolitiker dringend treffen, angeblich um ihm "eminent wichtige Informationen" mitzuteilen. Juschtschenko nahe stehende Quellen loben die Wachsamkeit seiner Sicherheitsleute, die eine unspezifischere Behandlung in ukrainischen Krankenhäusern, wovon die Vergifter angeblich ausgegangen seien, verweigert haben.

Das Gegenlager sah den Fall naturgemäß anders: vermutlich eine Lebensmittelvergiftung, bei der das eigene Lager noch mit etwas Gift "nachgeholfen" habe, um daraus politisches Kapital zu ziehen. Vielleicht sollte er weniger trinken, witzelten einige Parlamentsabgeordnete. Dann zuckten aber auch sie zusammen, als sie Juschtschenko Ende September bei seiner Rede im Parlament sahen, und stimmten umgehend fast ohne Gegenstimme für die Einsetzung einer 15-köpfigen Untersuchungskommission.

"Herpesinfektion"

Die hat dann nichts ergeben. Und der Anklageakt der Staatsanwaltschaft vom 21. September war auch bald geschlossen, nachdem er den Weg über den Geheimdienst genommen hatte und man auf Herpesinfektion diagnostiziert hatte. Dass Juschtschenko die Vergiftung gewissermaßen ohne Beweise dem Gegenlager - worunter Präsidentschaftskandidat Viktor Janukowitsch, aber auch Kutschmas Präsidialamtsleiter Viktor Medwedtschuk verstanden wurden - in die Schuhe schob, hat ihm zeitweise sogar Sympathien gekostet.

Nach der Diagnose der Wiener Ärzte hat die Staatsanwaltschaft der Ukraine am Samstag nun die bereits abgeschlossenen Ermittlungen erneut aufgenommen. Der Fall ist ein heikler Prüfstein für Svjatoslav Piskun, der von Kutschma im Oktober 2003 entlassen und vorige Woche auf Drängen der Opposition wieder als Oberster Staatsanwalt eingesetzt wurde.

Juschtschenkos Mitstreiterin Julia Timoschenko hat angekündigt, die Verantwortlichen nach der Wahl zur Rechenschaft zu ziehen: "Wenn Juschtschenko die Neuwahl in zwei Wochen gewinnt, woran ich keinen Zweifel habe, werden sich die, die ihn aus dem Weg räumen wollten, vor Gericht verantworten müssen." (Eduard Steiner, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 13.12.2004)