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Mit neuen Technologien wollen sie Staaten auf die Schliche kommen, die unterirdische Atomtests durchführen und damit den Atomtestbannvertrag brechen. Manfred Joswig schaut verdutzt. Dann schüttelt er den Kopf und legt die Stirn in Falten: "Komisch", sagt der Geophysiker, "aber diese Frage habe ich mir noch nie gestellt - und dabei liegt sie doch auf der Hand." Aber für politische Fragen, so der Stuttgarter Seismologe, habe er hier - auf einem Truppenübungsplatz nahe Bratislava - keine Zeit. Was genau passieren würde, wenn er - oder einer seiner Kollegen - irgendwann und irgendwo feststellen würden, dass irgendwer einen über- oder unterirdischen Atomtest durchgeführt hat, sei eine Frage mit so vielen politischen "Wenn", dass er beim genaueren Nachdenken darüber leicht seine eigentliche, wissenschaftliche Aufgabe aus den Augen verlieren könnte. "Vermutlich würde das dann vor dem UN-Sicherheitsrat besprochen werden. Vielleicht gäbe es Resolutionen oder Sanktionen - aber ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht." Für solche Fragen, bittet der Geophysiker, solle man sich daher - bitte - an andere wenden: Sein Job sei es schließlich, es überhaupt erst zu ermöglichen, dass diese Frage gestellt werden kann. Joswig lauscht. Genauer: Er übt Lauschen. Und was den Wissenschafter interessiert, sind jene Geräusche, die die Erdkruste von sich gibt, wenn irgendwo ein unterirdischer Atomtest stattgefunden hat: Im Auftrag der "Preparatory Comission of the CTBTO", also jener UN-Organisation, die darauf hinarbeitet, dass der Vertrag zum Bann sämtlicher Atomtests irgendwann doch in Kraft treten kann, bereitet Joswig den unterirdischen Lauschangriff auf potenzielle Vertragsbrecher vor: Sollte nämlich dann eine der 337 stationären CTBTO-Messstellen verdächtige Erschütterungen auffangen, die auf einen Atomtest hinweisen, müssten Experten binnen drei Wochen vor Ort sein - und nachmessen, was im Erdinneren genau geknirscht hat. Und anhand des fünf Wochen zu hörenden tektonischen Nachhalls, erklärt Joswig, lasse sich "mit 97-prozentiger Genauigkeit" sagen, wer und vor allem was da gerummst hat. "Nach fünf Wochen ist nichts mehr zu hören." Freilich benötigt man dafür Praxis: Bei "in field experiments" wie jenem auf dem slowakischen Truppenübungsplatz üben die Wissenschaftler den schnellen lokalen Lauschangriff: Über die globalen Messstellen lassen sich Explosionen und Erschütterungen bis auf eine Fläche von etwa 1000 km genau eingrenzen - vor Ort "können wir mittlerweile aus zwei Kilometer Entfernung die Erschütterungen messen, die ein fünf Kilo schwerer Gegenstand macht, der aus einer Höhe von sieben Metern herunter fällt". Seismologisch gesprochen entspräche das einem Beben der Stärke minus zwei nach Richter. Und auch das Erkennen und Bewerten von Quelle und Urheber, so Joswig, sei technisch machbar: "Das ist eben die Kunst: zu erkennen, was man da gehört hat." Freilich agieren Joswig und seine von der CTBTO weltweit auf Abruf bereit stehenden Kollegen derzeit noch im doppelt theoretischen Raum - und ob ihr Können jemals in der Praxis erprobt werden wird, ist fraglich. Das Messsystem der CTBTO sollte zwar spätestens 2007 voll einsatzbereit sein - das Inkrafttreten des Atomtestbannvertrages selbst steht aber in den Sternen. Von den 44 Gründungsstaaten des Vertrages haben ihn - seit er 1996 bei der UNO zur Unterzeichnung aufliegt - erst 34 ratifiziert. Unter den Nichtratifizierern finden sich die USA, Iran, Israel und China. Und auch von den 173 UN-Mitgliedsstaaten haben ihn bislang erst rund 120 ratifiziert. Und dass Staaten wie Indien, Pakistan oder Nordkorea nicht zu diesem Klub gehören, überrascht wenig. Da nur Staaten, die den Vertrag ratifiziert haben, auch zustimmen, unabhängige Kontrollore ungehindert arbeiten zu lassen, betreiben Seismologen bisher "Trockentraining". Davon, betont CTBTO-Specherin Daniela Rozgonova, dürfe man sich nicht beirren lassen: "Es geht darum, in dem Augenblick einsatzbereit zu sein, wenn der Vertrag in Kraft tritt. Wann immer das sein mag - wir hoffen bald." (Thomas Rottenberg, Der Standard, Printausgabe, 13.12.2004)