Wien - Hier gibt es nicht viel zu kritisieren, hier gilt es sich nur zu bedanken: für ein bewegendes Konzert, eine Demonstration pianistischen Ausnahmekönnens, für eine Lehr- und Sternstunde der Kunst des klassischen Klavierspiels. Der Abend war Staunen und Freude. Till Fellner ist einer der exaktesten, redlichsten, gefühlsgenauesten Pianisten unserer Zeit. Der 32-Jährige - Brendel-Schüler im Herzen, im Geiste und sogar im Kopfwackeln - hat mit seinem Mentor vor allem eines gemein: die fürsorgliche Genauigkeit in der Behandlung jedes einzelnen Tones, die emotionale Gewissenhaftigkeit in der Gestaltung jeder melodischen Phrase, jeder harmonischen Wendung.
Der so jugendlich wirkende Österreicher (das Bambihafte des jungen Karlheinz Böhm ist ihm wesenseigen) ist ein Meister des Maßhaltens, ein Virtuose der idealen Proportionierung: Die von seinen Händen errichteten Klangbauwerke stehen da wie griechische Tempel, wie palladianische Paläste - von allen Seiten perfekt anzuschauen, prunkvoll, makellos und in sich ruhend.
Weiß man bei diesen die Wohnlichkeit zugunsten des imponierenden Gesamteindrucks beschnitten, so steht es bei Fellner um die Beseelung, um die emotionale Erfüllung der präsentierten Meisterwerke bestens. Die Atemlosigkeit und das jugendliche Ungestüm, in denen er etwa das "Wiedersehen" in Beethovens Es-Dur-Sonate op. 81 a geschehen ließ, waren mitreißend: Die auf- und absteigenden Volten im kleinen Sekundabstand ließen Bilder an einen außer Rand und Band geratenen Hundewelpen wach werden, der sein Herrchen unentwegt vor Freude anspringt.
Angriffslustig, tänzerisch, sinnlich auch die Interpretation von Bachs Französischer Suite Nr. 5; die Gigue wurde in einer solchen technischen Perfektion und emotionalen Geschmeidigkeit noch nie gehört. Doch auch in den malerischen Gefilden der Romantik ist der "Sprechkünstler" Fellner zu Hause: Kräftig strahlten die Farben in Mussorgskis
Bilder einer Ausstellung
; von der brachialen Schwere des Ochsenkarrens bis zum zwitscherig-leichten Ballett der Küchlein spannte sich der Ausdrucksbogen. Ein Ausnahmekünstler, jetzt schon. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2004)