
Die Nazis nahmen Abbild und Maße von Juden, um ihre angebliche Andersartigkeit zu belegen: Gershon Evan war eines von 400 "Messobjekten".
Nun wurden die ersten Ergebnisse des Forschungsprojektes ",Jude' - Anthropologie im NS-Regime" vorgestellt. Zu rund 100 der damals vermessenen Juden liegen jetzt detaillierte Daten vor respektive haben die Wissenschafterinnen neben Gershon Evan einen zweiten Überlebenden ausfindig gemacht. Dieser Mann lebt noch heute in Wien.
Unter Josef Wastl, später Direktor der Anthropologischen Abteilung im Naturhistorischen Museum (NHM), trat im September 1939 eine zehnköpfige Kommission zusammen, die nach den damals geltenden Kriterien der Wissenschaftlichkeit im Wiener Praterstadion Juden im Alter von 16 bis 83 Jahren vermaßen.
DER STANDARD berichtete bereits von den Anfängen des nun vorgestellten Forschungsprojekts. Margit Berner, Verena Pawlowsky und Claudia Spring begannen vor ein paar Jahren im Überlebenden-Index des Holocaust Memorial Museum in Washington DC und beim österreichischen Nationalfonds zu forschen und Überlebende oder ihre Nachfahren ausfindig zu machen. Zu dem Projekt ist eine Buchpublikation in Vorbereitung. Die Messbefunde oder Fotos, die 1939 im Praterstadion von den Juden gemacht worden waren, bleiben in den Beständen des Naturhistorischen Museums. Für einige Angehörige war das Projekt ein willkommener Zugang zu "allerletzten Fotos", von denen sie sich Abzüge machen ließen. Berner berichtet, dass heutige Nachfahren teilweise erst durch dieses wissenschaftliche Projekt erfahren haben, wie ihr Großvater ums Leben gekommen ist. Für manche sei das bitter gewesen. Andere wären froh gewesen, etwas über seinen Verbleib zu erfahren.
Rolle der Wissenschaft
Die Analyse des Materials ermöglicht auch einen kritischen Blick auf die Wissenschaftsgeschichte. Denn "wissenschaftliche Objektivität" wird auch von zeitgeschichtlichen und politischen Rahmenbedingungen geprägt, resümiert man im Wissenschafterteam. "Man sieht schon, dass die Situation ausgenutzt wurde, um die Wissenschaft voranzutreiben", meint Margit Berner. Kurzum: Der Zweck, neue wissenschaftliche Daten für die Anthropologie zu gewinnen, stand im Vordergrund, "ohne auf den politischen Kontext zu achten".