"Den Blick hinrichten", Installationsansicht, © KUNSTHALLE wien, 2004


Ehemaliges Massengrab Feliferhof

Link: "Den Blick hinrichten"

Foto: Ernst Logar

Detail der Installation "Den Blick hinrichten", Universität für angewandte Kunst, Juni 2004

Nachlese: Der Betrachter im Schussfeld

Foto: Katrin Feßler


Zur Person

Ernst Logar , geboren 1965 in Klagenfurt, absolvierte sein Studium an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Brigitte Kowanz. Er lebt und arbeitet in Wien.

Foto: Katrin Feßler

Mit der beklemmenden Installation "Den Blick hinrichten", die den Betrachter in die Rolle eines Exekutionskandidaten versetzt, hat der Kärntner Künstler Ernst Logar den Kunsthallenpreis 2004 gewonnen. Die Arbeit Logars (derStandard.at berichtete) thematisiert die Hinrichtung seines Großvaters, der 1945, kurz vor Kriegsende, als Widerstandskämpfer am Feliferhof, einer steirischen NS-Schießstätte und ab 1941 Ort nationalsozialistischen Terrors, erschossen wurde.

Sinnbild des Vergessens

Das Schweigen seiner eigenen Familie über die Geschehnisse gab Motivation zu ausführlichen eigenen Recherchen. In der mit dem Preis verbundenen aktuellen Ausstellung im project space der Kunsthalle Wien führt Logar das Thema auf sehr eindringliche Art fort und thematisiert das Massengrab als Sinnbild des Vergessens. Logar lenkt das Augenmerk vom persönlichen Einzelfall auf den gesellschaftlichen und familiären Umgang mit dem Nationalsozialismus. Anne Katrin Feßler sprach mit dem Künstler unter anderem über die Notwendigkeit des Erinnerns und die Aufgabe von Denkmälern.

derStandard.at: Ursprünglich sollte die Installation "Den Blick hinrichten", ihr Diplomprojekt an der Universität für angewandte Kunst, in der aktuellen Ausstellung noch einmal präsentiert werden. Sie zeigen jetzt aber eine neue Arbeit. Warum?

Ernst Logar: Es war mir nicht genug, die gleiche Arbeit an einem anderen Ort zu reproduzieren. Das wäre nur mehr ein Zitat, da die Form der Installation dort auch stark auf die räumlichen Begebenheiten reagiert hat. Abgesehen davon, dass die Installation an einem anderen Ort gar nicht mehr funktioniert hätte, war es auch inhaltlich ein zwingender Schritt, die Arbeit fortzuführen. Eine Hinrichtung kann es nur einmal geben.

derStandard.at: Wo setzt der zweite Teil von "Den Blick hinrichten" an?

Logar: Der nächste logische Schritt dieser offenen Serie war für mich, die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus im familiären und gesellschaftlichen Bereich zu thematisieren. Ausgangspunkt ist dabei für mich das Bild des Massengrabes am Feliferhof, das ich in meiner neuen Installation zitiere. Die in der Kaserne Wetzelsdorf exekutierten und dort in Bombentrichtern vergrabenen Opfer, darunter auch mein Großvater, wurden Ende April 1945 in dieses Grab umgebettet. Sechs Häftlinge gruben die ca. 130 Leichen aus und wurden im Anschluss selbst in das Massengrab hineingeschossen.

Das Bild des Grabes ist ein Stellvertreter für das, was nicht mehr sichtbar ist, für die sogenannten "Leichen im Keller". Die Aussprüche "Begraben wir die Vergangenheit" und "Gras drüber wachsen lassen" beschreiben Tendenzen, die zum Teil in der Gesellschaft vorhanden sind. Dieses "Grab" wird von mir wieder geöffnet. Mir geht es ums "Ausgraben", um einen gegenteiligen Prozess zum Verstecken der Leichen.

derStandard.at: Im project space sind als markanter Teil der Installation und stellvertretend für das wirkliche Massengrab 20 Kubikmeter Erde aufgeschüttet…

Logar: Ja, ursprünglich wollte ich das Grab am Feliferhof öffnen lassen, so dass die ursprüngliche Form zu erkennen ist. Genau jene ausgehobene Erde wollte ich für die Installation verwenden. Aber nachdem das Grab am Feliferhof Teil eines Denkmals ist, war dies nicht möglich.

derStandard.at: Verstehen Sie ihre Installation als temporäres Denkmal?

Logar: Ich sehe sie schon als solche. Das Ziel eines Denkmales ist es, öffentlichen Diskurs auszulösen und eine Verbindung zur Vergangenheit aufrecht zu erhalten. Ein Gedächtnisort kann generell nur funktionieren, wenn man ihn mit kulturellem Wissen umsorgt, sodass die Erinnerung bleibt und es nicht zu einer Disjunktion zwischen diesem Ort und den Menschen kommt. Und das ist auch das Hauptanliegen meiner Arbeit: Die Verknüpfung von Vergangenem und Gegenwärtigem. Wir dürfen nicht aufhören, uns als Teil der Geschichte zu sehen. Es geht mir nicht ums Aufwärmen "alter Geschichten", sondern darum, diese Verbindung herzustellen und zu fragen: Was hat das alles mit uns zu tun?

derStandard.at: Kommt der Erde als Material noch eine spezielle Bedeutung zu?

Logar: Sicherlich gibt es verschiedene Interpretationsebenen in Bezug auf Erde, die in der Arbeit mitschwingen. Aber mir geht es primär um das Öffnen und um die Verortung des Massengrabs und nicht um das Material an sich. Denn die Frage der Materialität ist in diesem Fall heikel, wenn man beispielsweise an die "Blut & Erde"-Rituale des Dritten Reiches denkt oder an Begriffe wie "Heimaterde", "Opfererde". Die Symbolik von Erde, die auf der einen Seite heiliges, auf der anderen Seite minderwertiges Material darstellt, ist zwar ebenso in der Arbeit enthalten, aber im Vordergund meines Interesses steht das Prinzip des Versteckens von Vergangenheit.

derStandard.at: Sie haben erwähnt, dass das Thema für sie noch nicht abgeschlossen ist. In welche Richtung wird sich die Serie weiterentwickeln?

Logar: Mein Fokus richtet sich nun auf die Tatsache, dass bald keine Augenzeugen mehr leben werden, die von der Zeit des Nationalsozialismus berichten können. Mich beschäftigt vorrangig die Frage, wie sich unser Geschichtsbewusstsein durch diesen Umstand verändern wird. (Anne Katrin Feßler, 12. 1. 2005)