Der Weg der Türkei in die EU wird lang und zäh. "Mindestens zehn Jahre werden die Verhandlungen dauern", schätzen Experten. Mehrere Stolpersteine liegen auf dem Weg zwischen Bosporus und Brüssel.
  • Der eine Aspekt ist die schiere Größe: Derzeit hat die Türkei 70 Millionen Einwohner, 2010 werden es laut Prognosen 83 sein - damit wäre die Türkei neben Deutschland (82 Millionen Einwohner) das größte Mitgliedsland.

  • Die Größe der Türkei treibt auch die Kosten eines Beitritts in die Höhe. 32 Prozent der Türken arbeiten in der Landwirtschaft, in der EU-25 liegt der Schnitt bei 5,4 Prozent. Selbst im Agrarland Polen liegt der Anteil "nur" bei 19,6 Prozent. Dazu ist die türkische Agrarfläche mit 38,8 Millionen Hektar fast genauso groß wie die der zehn Erweiterungsländer zusammen. Würde die Türkei gleich behandelt wie die zehn neuen EU-Mitglieder, hätte sie Anspruch auf 15 Milliarden Euro pro Jahr an Agrar- und Strukturförderungen. Daher wird davon ausgegangen, dass vor einem Türkei-Beitritt das System der EU-Agrargelder verändert werden muss. Derzeit binden sie fast die Hälfte des EU-Budgets.

  • Dazu kommt, dass die Türkei derzeit einen extrem geschützten Agrarmarkt hat. Sie müsste ihre Importverbote (etwa für Tierprodukte) aufheben, was die Bauern massiv unter Druck setzen würde.

  • Damit hängt der Arbeitsmarkt zusammen. Auch aufgrund der Umwälzungen im Agrarsektor wird Migrationsdruck vorhergesagt. Je nach Studie wird ein über Jahre verteiltes Einwanderungspotenzial von 2,9 Millionen Menschen angenommen. Pro Jahr wären das 225.000 türkische Migranten - wenn es für sie keine Beschränkungen gebe.

  • Derzeit liegt das Durchschnitts-Bruttoinlandsprodukt der Türkei bei 27 Prozent des EU-Schnitts. Wie viel eine Heranführung des großen, armen Landes an EU-Niveau kosten würde, wagte die Kommission nicht abzuschätzen.

  • Einen schwierigen Punkt stellt auch das reale Niveau der Menschenrechte dar - also inwieweit etwa Antifoltergesetze in der Praxis durchgesetzt sind.
(DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2004)