Wien - Der Gaza-Streifen droht zum "größten Gefängnis der Welt" zu werden, sollte der Plan des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon verwirklicht werden, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen. Das erklärte die deutsche Nahost-Expertin Helga Baumgarten am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen. Der Gaza-Streifen sei dann isoliert vom Rest des palästinensischen Gebietes. Im Westjordanland blühe ein "Apartheid-System": Die palästinensische Führung würde eher für die Sicherheit der israelischen Siedlungen sorgen müssen anstatt sich um palästinensische Belange zu kümmern.

Auf den Nachfolger des verstorbenen palästinensischen Präsidenten Yasser Arafat warteten drei Aufgaben, betonte Baumgarten: Er müsse das Ende der israelischen Besatzung erreichen, einen unabhängigen palästinensischen Nationalstaat schaffen und einen Weg zur Koexistenz mit Israel finden. Den derzeitigen PLO-Chef Mahmud Abbas sieht die Politikwissenschaftlerin in schwacher Stellung, nach innen und nach außen hin. Er gilt als der aussichtsreichste Kandidat bei den Anfang Jänner geplanten Präsidentschaftswahlen. Es erhebe sich die Frage, ob Abbas im Falle eines Wahlsieges zusammen mit Ariel Sharon einen palästinensischen Staat schaffen könne, so Baumgarten.

Erfolge und Misserfolge

Zur Bedeutung Arafats sagte die Nahost-Expertin, einige seiner Erfolge seien zugleich Misserfolge gewesen. So habe der bewaffnete Befreiungskampf in Palästina nicht zum Erfolg geführt und auch nach 1993 - nach der Anerkennung der PLO durch Israel in Oslo - habe die israelische Besatzung angedauert. Die Intifada bezeichnete sie als kontraproduktiv. Der palästinensische Kampf müsse gewaltlos fortgeführt werden. Baumgarten warf Israel vor, eine Politik der Dämonisierung und Delegitimierung Arafats verfolgt zu haben, der sich später auch US-Präsident George W. Bush mit seiner Forderung angeschlossen habe, auf "demokratische Weise" eine neue palästinensische Führung zu suchen.

Der Generaldirektor des palästinensischen Legislativrates (Parlament) in Ramallah, Mahmoud Labadi, sagte, der Kampf der Palästinenser müsse weitergehen, da Israel ihnen keinen andere Ausweg lasse. Er räumte ein, dass die Palästinenser Israel in der Vergangenheit wiederholt provoziert hätten. Abbas traue er es zu, das Erbe Arafats als neuer Palästinenserführer anzutreten.

Wichtig sei, dass sich die Palästinenser nicht auf die arabischen Staaten verließen, sondern selbst initiativ würden, so Labadi weiter. Ein wichtiger Erfolg Arafats sei es gewesen, dass die Palästinenser das so genannte "Etappenprogramm" angenommen hätten: Es sehe eine Staatsgründung in jedem Gebiet vor, das von den Israelis geräumt werde. Somit sei man der Zwei-Staaten-Lösung näher gekommen. (APA)