Christian Köck

Mit seinem "Österreich Gespräch" startete der ORF den Versuch, die aktuelle politische Krise in Österreich einer Lösung näher zu bringen. Zweifellos ist dem ORF mit diesem Experiment guter Wille zu attestieren. Aber was dabei herauskam, ist nichts anderes als die Offenbarung des Problems schlechthin: Ein ständestaatlich zusammengesetztes Forum von Bischöfen, Politikern Wissenschaftern, Journalisten, Gewerkschaftern, Industriellen, Bauern- und Tourismusvertretern unterhielt sich mit Regierung und Opposition über Österreich und die EU. Man demonstrierte besorgte Einigkeit und beschwor den Geist der Bierzelte.

Sittenbild

Denn worin liegt das eigentliche Problem, das Österreich derzeit so beklagt? Das Problem liegt in Wahrheit nicht in den tatsächlich überzogenen und nicht gerechtfertigten Reaktionen unserer Partner in der EU. Es liegt in jenem überkommenen Bild, das mit dieser organisierten Fernsehshow des staatlichen Rundfunks präsentiert wurde:

Den politischen Spielern dieser Virtuality-Show des ORF fehlt das Bewusstsein für die Dringlichkeit, endlich Bedingungen für das Entstehen einer offenen Gesellschaft in Österreich zu schaffen. Wo vor dem Hintergrund einer wehenden Rot-Weiß-Roten Fahne die Berufsstände aufmarschieren, in Sektoren aufgeteilt und doch vereint der Virtualität einer umfassenden Österreichischen Gemeinschaft huldigen. Wo Gewerkschaftsbosse gemeinsam Hand in Hand im Ausland für dieses schöne Österreich kämpfen wollen. Wo Bundeskanzler ihre EU-Bevollmächtigten in den Rang von Aposteln heben. Wo die Moderatorin den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften in professoraler Bestimmtheit ersucht, seine Kritik an dieser Sendung noch einmal zu überdenken. Wo Vertreter des Publikums vom Moderator lächerlich gemacht werden, weil sie ihr Statement vom Zettel lesen, während dies beim Generalintendanten des ORF selbstverständlich akzeptiert wird. Auf der Strecke blieb an diesem Abend der Diskurs über die Befindlichkeit der österreichischen Gesellschaft.

Was dieses "Österreich Gespräch" vermissen ließ: Das Bewusstsein zu schaffen, dass es auch für Österreich dringend an der Zeit ist, veraltete Strukturen und Denkmuster aufzubrechen und die Entwicklung zu einer offenen pluralistischen Gesellschaft zu forcieren. Eine Gesellschaft zu schaffen, in der Männer und Frauen den Anforderungen zwischen Beruf und Familie gerecht werden können. Ein Bildungssystem zu schaffen, das junge Menschen für komplexe Aufgaben und den raschen Wandel vorbereitet, die Wirtschaft schrittweise von unnötigen Hindernissen und staatlichem Einfluss zu befreien. Ein Sozial- und Gesundheitssystem zu schaffen, das den Bedarf der Menschen nach Sicherheit und Geborgenheit gerecht wird - und trotzdem ökonomisch tragbar ist. Kammern und Gewerkschaften dazu zu drängen, die ihnen zukommende Rolle als Interessenvertretung einzunehmen und sich nicht mehr als Nebenregierung zu definieren.

Dauerrausch?

Was auf der Strecke blieb: dass es nicht genügt, in Fernsehstudios stundenlang die Virtualität österreichischer Gemütlichkeit und Wehleidigkeit zu moderieren, sondern darum, dieses Land zu reformieren. Erst wenn dies geschieht, werden die Bierzelte dieses Landes die Rolle spielen, die ihnen angemessen ist: den Menschen Gelegenheit zu geben, um den Preis eines harmlosen Rausches für eine gewisse Zeit ein paar Sorgen zu vergessen. Wenn jedoch all dies nicht geschieht, werden die Geister der Bierzelte die Politik weiterhin gestalten und dann: gute Nacht ...

Christian Köck ist Bundessprecher des Liberalen Forums.