Joélle Stolz

Hat die vom Österreichischen Rundfunk organisierte Marathon-Debatte - dieser "Politstadel", um den Ausdruck eines Vertreters der Wissenschaft aufzugreifen, der sich sichtlich bzw. hörbar skeptisch über den Sinn des in Österreich zuvor noch nie gesehenen "Experiments" zeigte -, hat also diese Debatte irgendetwas an der gegenwärtigen innen- oder außenpolitischen Situation des Landes geändert? Allem Anschein nach nicht.

Die Fronten wurden nicht um ein Jota verschoben, wie es auch am Ende der Diskussion Professor Van der Bellen, der Chef der Grünen, in seinem tadellos gemäßigten Ton gesagt hat.

Aber auf dem Spiel stand ja auch etwas anderes: Es ging schlicht darum, eine Fernsehbandage um die klaffenden Wunden der österreichischen Seele zu schlagen, ein Minimum an Konsens auf der nunmehrigen "Insel der Unglücklichen" herzustellen, in der Hoffnung, dass Österreich eines Tages wieder zu jenem prosperierenden, in sich geeinten und allseits beliebten Land werden wird, das wir vormals gekannt haben.

Die eingangs von den Schülern eines der besten Wiener Gymnasien vorgetragene Erzählung ihrer traumatisierenden Erlebnisse in Straßburg konnte jeden Seher (natürlich einschließlich der Autorin dieser Zeilen) nur zurecht empören und die Identifikation fördern:

Selbstverständlich war es das ganze Österreich, das sich hier in Gestalt seiner vielversprechendsten und an den Verbrechen der Vergangenheit unschuldigen Jugend ungerecht zurückgewiesen sah.

King Kongs Schatten

Nach diesem Moment ungefilterter Emotion schien die Intervention eines ehemaligen politischen Beraters von Präsident Jacques Chirac, die vor dem Eiffelturm vorgetragen wurde und an jener sprachlichen Verzerrung litt, die jede Übersetzung zwangsläufig mit sich bringt, von einem andern Kontinent herzukommen, der 20.000 Meilen von der Insel entfernt ist.

Im Gegensatz zum geplanten ORF-Programm über die "Robinsons der modernen Zeiten", die man im Kampf mit der wilden Natur auf einer exotischen Insel filmen möchte und wo die physisch und menschlich am wenigsten Geeigneten nach und nach aus dem Teilnehmerkreis ausgeschieden werden, ging es am Mittwochabend darum, dass jedermann auf der Insel bleibt, das heißt auf dem Fernsehschirm, der Österreich in all seinen Erscheinungsformen ähneln sollte.

Dabei spürte man über allen Teilnehmern an dieser Inszenierung den Schatten von Jörg Haider liegen, jenem medialen King Kong, den jeder am liebsten hinter der Barriere der Kärntner Alpen versperrt haben möchte, in der Hoffnung, dass er nicht allzu oft - am besten überhaupt nur einmal im Jahr - auftaucht, um seinen fatalen Tribut einzufordern.

Summa summarum: Diese Übung in österreichischer Fernsehdemokratie war für den politischen Kommentator nur von sehr beschränktem Interesse, lieferte aber jede Menge lehrreiches Anschauungsmaterial für die Medienspezialisten.

Joélle Stolz arbeitet als Österreich-Korrespondentin für die französische Tageszeitung "Le Monde" in Wien.