Durch die Ergebnisse des EU-Gipfels ist die deutsche Oppositionsführerin Angela Merkel geschwächt. Sie selbst musste schon vor Beginn des Treffens der Staats- und Regierungschefs einräumen, gescheitert zu sein. Denn der von ihr vorgebrachte Vorschlag einer privilegierten Partnerschaft als Alternative zu einem Vollbeitritt der Türkei war nicht einmal innerhalb der Europäischen Volkspartei durchzubringen, geschweige denn bei allen 25 Mitgliedstaaten.

Ihr Ausrutscher auf der europäischen Bühne hatte sich schon abgezeichnet. Die Reaktionen auf Merkels Vorschlag, den sie in einem Brief an die konservativen Parteifreunde in Europa unterbreitet hatte, waren großteils ablehnend gewesen. Merkel hatte sich dennoch - getrieben von CSU-Chef Edmund Stoiber - weiter vorgewagt. Sie ließ sich von Stoiber dazu drängen, dessen markige Ankündigung zu übernehmen, dass eine unionsgeführte Regierung nach einem Wahlsieg 2006 den Prozess zu einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei stoppen werde. Merkel wurde dann von Parteifreunden wie Exparteichef Wolfgang Schäuble daran erinnert, dass EU-Vereinbarungen der Vorgängerregierung auch von der CDU einzuhalten seien.

Dabei wollte die Kanzlerkandidatin in Wartestellung ihr außenpolitisches Meisterstück abliefern, nachdem sie, die Strippenzieherin, dabei war, den Liberalen Guy Verhofstadt als Kommissionspräsidenten zu verhindern und den Konservativen José Manuel Barroso durchzubringen.

Der deutsche Kanzler Gerhard Schröder ließ es sich in Brüssel nicht nehmen, genüsslich zu verkünden: Er habe es schon seit Wochen gesagt, dass die Union isoliert sei. Merkels innerparteiliche Konkurrenten zeigten ihre Freude nicht öffentlich. Ihr Scheitern in Brüssel könnte ein Stolperstein für die Kanzlerkandidatur werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18/19.11.2004)