Außenminister Gül mit besten Chancen - Ferrero-Waldner skeptisch über europäischen Charakter der Türkei
Redaktion
,
Istanbul/Madrid/Rom - In der Türkei hat das Gerangel um die
künftige Verhandlungsführung bei den Beitrittsgesprächen mit der EU
begonnen, die allerdings erst im Herbst kommenden Jahres (3. Oktober)
aufgenommen werden sollen. Der chancenreichste Anwärter auf das Amt
des Verhandlungsführers ist Außenminister Abdullah Gül, auch
Wirtschaftsminister Ali Babacan ist weiter im Rennen.
EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sieht die Türkei noch weit
von einem EU-Beitritt entfernt, wie sie in einem Interview mit der
spanischen Tageszeitung "El País"betonte.
Fortschritte
"Ein großer Teil der Türkei liegt in Asien. Sie ist
augenscheinlich nicht so europäisch, wie manche denken", sagte
Ferrero-Waldner in dem "El Pais"-Interview (Montag-Ausgabe),
angesprochen auf das große Gewicht, das die bevölkerungsreiche Türkei
in den EU-Institutionen haben werde. Man müsse vorsichtig vorgehen.
Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung um die Kandidaten Kroatien,
Bulgarien und Rumänien wies die Kommissarin darauf hin, dass die EU
"in maximal zwei Jahren" eine neue Verfassung haben und die
Institutionen damit für ein größeres Europa funktionsfähig gemacht
würden.
Die Entscheidung, Verhandlungen mit Ankara aufzunehmen, hält die
frühere Außenministerin grundsätzlich für gut, weil damit den
erzielten Fortschritten Rechnung getragen werde. Jetzt liege es aber
an der Türkei, weitere Reformen und Anpassungen an EU-Normen zu
realisieren. Die Türkei müsse "zeigen, dass sie weiter Fortschritte
macht und den Acquis (Rechtsbestand. Anm.) der Gemeinschaft erfüllt",
sagte Ferrero-Waldner.
Erfahrung mit EU-Fragen
Was die Verhandlungsführung auf türkischer Seite betrifft, so hält
sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan noch bedeckt. Gül hat als
Außenminister viel Erfahrung mit EU-Fragen und entsprechende
Kontakte. Als Außenminister untersteht ihm außerdem das
EU-Generalsekretariat der türkischen Regierung, das für alle
Beitrittsfragen zuständig ist. Sollte er zum Verhandlungsführer
berufen werden, könnte die Türkei auf Pläne verzichten, das
Generalsekretariat auszugliedern und ein eigenes Europa-Ministerium
zu gründen.
Gül selbst ist offensichtlich an der Funktion des
Verhandlungsführers interessiert - wird die EU-Materie doch künftig
die Tätigkeit des Außenministeriums dominieren. Allerdings gibt es in
Ankara auch Gegnerschaft zu einer solchen Personalunion. Für den
Verhandlerjob kommen auch der derzeitige Chef des türkischen
EU-Generalsekretariats, Murat Sungar, und Botschafter Selim Kuneralp,
der derzeit in Seoul stationiert ist, in Frage, ferner Staatsminister
Mehmet Aydin, der bisher für das türkische Religionsamt zuständig
ist, und Wirtschaftsminister Ali Babacan.
Umfrage
Laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts Eurispes befürwortet nur ein Drittel der
Italiener den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
34,2 Prozent der Italiener sind demnach für den EU-Beitritt der
Türkei, 28 Prozent dagegen aus, 37 Prozent hatten zu diesem Thema
keine Meinung.
In Frankreich hat sich die Zustimmung zur Türkei seit dem
EU-Gipfel erhöht. Laut einer aktuellen Umfrage der konservativen
Zeitung "Le Figaro" unterstützt eine Mehrheit die geplanten
Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei. 52 Prozent der
Befragten stünden nun hinter der positiven Haltung von
Staatspräsident Jacques Chirac. Bisher hatten sich die Franzosen in
Umfragen mehrheitlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei
ausgesprochen. In Frankreich wird es 2005 ein Referendum zur
EU-Verfassung geben. (APA)
Forum:
Ihre Meinung zählt.
Die Kommentare im Forum geben nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wieder.
Die Redaktion behält sich vor, Kommentare, welche straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen,
den guten Sitten widersprechen oder sonst dem Ansehen des Mediums zuwiderlaufen
(siehe ausführliche Forenregeln),
zu entfernen. Benutzer:innen können diesfalls keine Ansprüche stellen.
Weiters behält sich die STANDARD Verlagsgesellschaft m.b.H. vor, Schadenersatzansprüche
geltend zu machen und strafrechtlich relevante Tatbestände zur Anzeige zu bringen.