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Außenminister Abdullah Gül ist der chancenreichste Anwärter auf das Amt des Verhandlungsführers für die Türkei.

Foto: REUTERS/Michael Kooren
Istanbul/Madrid/Rom - In der Türkei hat das Gerangel um die künftige Verhandlungsführung bei den Beitrittsgesprächen mit der EU begonnen, die allerdings erst im Herbst kommenden Jahres (3. Oktober) aufgenommen werden sollen. Der chancenreichste Anwärter auf das Amt des Verhandlungsführers ist Außenminister Abdullah Gül, auch Wirtschaftsminister Ali Babacan ist weiter im Rennen. EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner sieht die Türkei noch weit von einem EU-Beitritt entfernt, wie sie in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung "El País"betonte. Fortschritte

"Ein großer Teil der Türkei liegt in Asien. Sie ist augenscheinlich nicht so europäisch, wie manche denken", sagte Ferrero-Waldner in dem "El Pais"-Interview (Montag-Ausgabe), angesprochen auf das große Gewicht, das die bevölkerungsreiche Türkei in den EU-Institutionen haben werde. Man müsse vorsichtig vorgehen. Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung um die Kandidaten Kroatien, Bulgarien und Rumänien wies die Kommissarin darauf hin, dass die EU "in maximal zwei Jahren" eine neue Verfassung haben und die Institutionen damit für ein größeres Europa funktionsfähig gemacht würden.

Die Entscheidung, Verhandlungen mit Ankara aufzunehmen, hält die frühere Außenministerin grundsätzlich für gut, weil damit den erzielten Fortschritten Rechnung getragen werde. Jetzt liege es aber an der Türkei, weitere Reformen und Anpassungen an EU-Normen zu realisieren. Die Türkei müsse "zeigen, dass sie weiter Fortschritte macht und den Acquis (Rechtsbestand. Anm.) der Gemeinschaft erfüllt", sagte Ferrero-Waldner. Erfahrung mit EU-Fragen

Was die Verhandlungsführung auf türkischer Seite betrifft, so hält sich Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan noch bedeckt. Gül hat als Außenminister viel Erfahrung mit EU-Fragen und entsprechende Kontakte. Als Außenminister untersteht ihm außerdem das EU-Generalsekretariat der türkischen Regierung, das für alle Beitrittsfragen zuständig ist. Sollte er zum Verhandlungsführer berufen werden, könnte die Türkei auf Pläne verzichten, das Generalsekretariat auszugliedern und ein eigenes Europa-Ministerium zu gründen.

Gül selbst ist offensichtlich an der Funktion des Verhandlungsführers interessiert - wird die EU-Materie doch künftig die Tätigkeit des Außenministeriums dominieren. Allerdings gibt es in Ankara auch Gegnerschaft zu einer solchen Personalunion. Für den Verhandlerjob kommen auch der derzeitige Chef des türkischen EU-Generalsekretariats, Murat Sungar, und Botschafter Selim Kuneralp, der derzeit in Seoul stationiert ist, in Frage, ferner Staatsminister Mehmet Aydin, der bisher für das türkische Religionsamt zuständig ist, und Wirtschaftsminister Ali Babacan. Umfrage

Laut einer am Montag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Eurispes befürwortet nur ein Drittel der Italiener den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. 34,2 Prozent der Italiener sind demnach für den EU-Beitritt der Türkei, 28 Prozent dagegen aus, 37 Prozent hatten zu diesem Thema keine Meinung.

In Frankreich hat sich die Zustimmung zur Türkei seit dem EU-Gipfel erhöht. Laut einer aktuellen Umfrage der konservativen Zeitung "Le Figaro" unterstützt eine Mehrheit die geplanten Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei. 52 Prozent der Befragten stünden nun hinter der positiven Haltung von Staatspräsident Jacques Chirac. Bisher hatten sich die Franzosen in Umfragen mehrheitlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. In Frankreich wird es 2005 ein Referendum zur EU-Verfassung geben. (APA)