Jede Großstadt hat sie, eine graue, laute, anonyme Straße, auf deren beiden Seiten Extremismus herrscht, auf der Gangs ihre Hoffnungslosigkeit zeigen. Die Handlung des 1989 von Ray Leslee und John Jiler (Text) komponierten A-cappella-Musicals Avenue X ist auf 1963 datiert. In Brooklyn trennt die gleichnamige Hauptverkehrsstraße zwei Welten: Italoamerika und Afroamerika.

Das Bühnengeschehen verlangt den Darstellern alles ab: Pasquale (mitreißend: Ramin Dustdat) ist verzweifelt. Sein Leadsänger ist am Vorabend des legendären Brooklyn-Fox-Gesangwettbewerbs ausgefallen. Den Ersatz findet er ausgerechnet auf der anderen Straßenseite in Gestalt von Milton (beeindruckend: Gino Emnes).

Beide Familien mauern: Auf italienischer Seite versuchen Schwester Barbara (Murielle Stadelmann) und Freunde (Bruno Grassini, Axel Olzinger), ihn davon abzubringen. Milton ergeht es nicht besser. Mutter Julia (wunderbar: Carole Alston-Bukowsky) wie Stiefvater Roscoe (Joe Garcias rauchiges Organ geht über drei Oktaven) verstehen die Welt nicht mehr.

Michael Schnack zeichnet bei der europäischen Erstaufführung des mit Preisen ausgezeichneten Broadwaystückes für die musikalische Leitung verantwortlich. Inszenierung und Choreografie besorgte Alonso Barros. Die Rhythmen im "Doo-wo"-Stil der 50er- und 60er-Jahre, aber auch Rock'n'Roll, Gospel, Blues, Jazz, Rap und afroamerikanische Rhythmen prägen die Musiknummern. Ein modernes Weihnachtsmärchen? (henn/DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2004)