Anfang Oktober gab die Übernahmekommission bekannt, dass sie prüfen werde, ob durch den Ausstieg der ÖIAG aus dem Edelstahlkonzern Böhler-Uddeholm ein "Kontrollwechsel" stattgefunden hat, der die Fries-Gruppe, mit 26 Prozent der größte Aktionär, zu einem Abfindungsangebot verpflichten könnte. Eine Woche später kündigte Kanzler Wolfgang Schüssel eine Änderung des Übernahmegesetzes an, um die Angebotspflicht in einem solchen Fall zu streichen.

Vor ein paar Wochen fragte Die Zeit für Deutschland, was mehr erstaune, die Unverschämtheit, mit der die Wirtschaft ihre Interessen artikuliere - oder die Leichtigkeit, mit der sie sich gegenüber der Politik durchsetze. Die Zeit beantwortet es mit Letzterem, da schlicht die notwendige Haltung fehle.

Für Österreich fällt die Antwort wohl ähnlich aus. Wenn während eines laufenden Verfahrens eiligst eine Arbeitsgruppe - zwar von der Industriellenvereinigung, aber mit dem Sanctus höchster Politik - eingesetzt wird, um das geltende Übernahmerecht möglichst rasch aus der Sicht von Besitzern großer Aktienpakete handzahm zu machen, dann muss das Rechtsverständnis der Politik gegenüber einer unabhängigen, weisungsfreien, nur dem Rechtszug zum Verfassungsgerichtshof unterworfenen Behörde hinterfragt werden.

EU-Richtlinie zwingt zur Überarbeitung

Außer Frage steht, dass viele Kapitalmarktgesetze nur aufgrund bestimmter Ereignisse möglich waren. Das Übernahmegesetz (ÜbG) wäre ohne die Übernahme der CA durch die Bank Austria 1997 nicht zustande gekommen. Außer Frage steht auch, dass die Überarbeitung des Übernahmerechts allein schon wegen der Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie ansteht.

Die Liste der notwendigen, nur zum Teil europarechtlich bedingten Änderungen ist bekannt: Papierangebot, 15-Prozent-Abschlag, Offenlegungsvorschriften. Derzeit stehen aber zwei nicht EU-rechtlich determinierte Fragen im Vordergrund: die Kontrollschwelle und die so genannte passive Kontrollerlangung.

Das österreichische ÜbG hat sich 1998 mit gutem Grund für die Etablierung eines materiellen Kontrollbegriffs (tatsächliche Einflussmöglichkeit) entschieden und sich nicht mit der Festlegung einer fixen Schwelle von 30 Prozent begnügt. Für eine solche Schwelle mögen die einfache Handhabung und ein Gewinn an Rechtssicherheit sprechen. Allein, sie greift in vielen Fällen zu kurz, wie gerade die Erfahrungen aus Deutschland mit seiner 30-Prozent-Schwelle zeigen, wo vielfach Kontrollpositionen aufgebaut werden, ohne dass ein Übernahmeangebot ausgelöst wird.

In Österreich gibt es kaum eine Publikumsgesellschaft mit breit gestreutem Aktionärsbesitz; börsennotierte Gesellschaften verfügen meist über einen Großaktionär und überschaubaren Streubesitz. Zudem sind die HV-Präsenzen sehr niedrig. Die Kontrolle der Gesellschaft ist damit auch mit Beteiligungen von weniger als der Hälfte bzw. einem Drittel der Aktien möglich. Kernaktionärspositionen können so relativ billig - der Kaufpreis geht nur an den Großaktionär - und der Volkswirtschaft zuwider an das Ausland veräußert werden. Das primäre Ziel des ÜbG, Schutz und damit Vertrauen der Anleger zu stärken, wird konterkariert und widerspricht klar internationaler Kapitalmarktkultur. Die österreichische Regelung mag zwar kompliziert sein, aber sie wird den realen Verhältnissen der hiesigen Unternehmenslandschaft besser gerecht als vergröbernde Pauschallösungen auf zu hohem Niveau.

Nach dem Gesetz ist für die Kontrollerlangung weder Technik noch Absicht des Bieters von Bedeutung, allein die Herstellung des Kontrollzustands ist maßgeblich. Passive Kontrollerlangung bedeutet, dass sich ein Aktionär ohne eigenes Zutun durch Handlungen Dritter in der kontrollierenden Stellung eines Unternehmens wieder findet - etwa indem ein Syndikatsvertrag gekündigt wird oder ein bisheriger Mehrheitsaktionär seine Anteile veräußert.

Kontrolle und Pflicht

Nicht alle Fälle der passiven Kontrollerlangung lösen ein Pflichtangebot aus. Dies hängt davon ab, inwieweit der nunmehrige Hauptaktionär zur Erlangung der Kontrolle beigetragen hat, in dem er etwa die Kündigung eines Syndikatsvertrags nicht verhindert hat, obwohl es ihm finanziell hätte zugemutet werden können.

Das ÜbG ist durchaus offen für eine abgewogene Entscheidung, ob und inwieweit eine Angebotspflicht tatsächlich besteht. Mit einzelfallbezogener Ausnahme auf Grundlage der in § 25 ÜbG enthaltenen Wertungen ermöglicht das Gesetz selbst bei grundsätzlicher Annahme der Angebotspflicht eine angemessene, Interessen ausgleichende Lösung mit hohem Realitätsbezug. Für ein schnellschussartiges anlassbezogenes "Ummodeln" des ÜbG besteht angesichts der geltenden Rechtslage kein sachlicher Grund. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.12.2004)